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Serge Halimi | Zu Besuch im Labor der Utopien (Exzerpt)
– ein Artikel in der LeMonde Diplomatique zu einem Workshop über mögliche Formen einer Gesellschaft der Zukunft in Woods Hole (östlich von Boston) zu der Michale Albert politische AktivistInnen, SchriftstellerInnen, JournalistInnen und GewerkschafterInnen eingeladen hatte. 60 kamen und diskutierten...
"Die partizipative Ökonomie lehnt eine gesellschaftliche Organisationsform entschieden ab, die  bestimmten Leuten nur ausführende Tätigkeiten wie Putzen zuweist, während anderen die kreativen  Aktivitäten und Leitungsfunktionen vorbehalten bleiben. Sie bekämpft das aus der fordistischen  Spezialisierung hervorgegangene Industriemodell, das die Produktivität in den kapitalistischen wie in  den sozialistischen Ländern (Stachanow-Prinzip) zwar enorm gesteigert hat, aber doch nur um den Preis  einer Arbeitsorganisation, die ohne entfremdende und langweilige Tätigkeiten wie etwa Fließbandarbeit  nicht auskommt. Überdies hat sich in diesem Modell eine dritte "Klasse" herausgebildet - von Albert  "Koordinatoren" genannt -, die der marxistischen Gesellschaftsauffassung widerspreche, die den  Hauptwiderspruch im Gegensatz zwischen Kapitalbesitzern und den Verkäufern von Arbeitskraft sieht.  Um zu verhindern, dass diese Experten, Führungskräfte und Technokraten nach der Revolution  zurückkehren - samt ihrer gesellschaftlichen Überheblichkeit, ihrem angeblich durch Kompetenz  legitimierten autoritären Gehabe -, wollen die "Partizipalisten" sämtliche Aufgaben in allen Berufen so  umdefinieren, dass ausführende und konzeptionelle Aspekte stets ineinandergreifen. Nur so ließen sich  die Vorteile und Zwänge gesellschaftlicher Arbeit auf akzeptable Weise auf alle Schultern verteilen."

also "---nur gleichgestellte Akteure mit "ausgewogenen  Aufgabenkomplexen", die gesprächsweise definiert und ausgehandelt werden."

"Susan George machte dagegen zunächst einen anthropologisch begründeten Einwand: Hat es in der Geschichte der Menschheit jemals eine  klassenlose Gesellschaft gegeben, zumal wenn die Klassendefinition sich nicht nur auf das Eigentum an  Produktionsmitteln bezieht, sondern zusätzlich auf die Existenz von "Koordinatoren"? Von der (wenig  überzeugenden) Antwort wenig überzeugt, erwiderte sie apodiktisch: "Wer für das, was er macht,  hochqualifiziert ist, muss auch die Möglichkeit haben, es ausschließlich zu tun."

...

"Aber selbst wenn man das Kernprinzip der partizipativen Ökonomie nicht in Frage stellt, ergeben sich  zahllose weitere Fragen. Wer legt fest, wie die Mühen und Opfer entlohnt werden sollen? Und wer  gruppiert die Arbeit zu "ausgewogenen Aufgabenkomplexen"? Wer bestimmt Höhe und Art des  Angebots (Produktion)? Und wie will man die Nachfrage (der Verbraucher) vorhersagen? Die Antwort  lautet: Statt des Markts (der Ungleichheit und Vergeudung produziert) beziehungsweise statt der  Zentralkoordinatoren (die als autoritär gelten) soll die "partizipative Planung" entscheiden. Nun gut,  aber was - und wer - soll das sein?
Die Antwort lautet: dezentralisierte "nested councils", bestehend aus sozialen Akteuren, deren  Mitspracherecht sich aus ihrer persönlichen Betroffenheit herleitet. Das sind "Leute mit Zugang zu  qualitativ hochwertigen Informationen, die gebildet und fachlich kompetent sind und motiviert, ihre  Präferenzen zu entwickeln, zu vermitteln und zum Ausdruck zu bringen".  Das ist ein stattliches Programm, das ein gewisses Bildungsniveau, politisches Bewusstsein, Motivation  und ausreichende Informationen voraussetzt."

Serge Halimi | Zu Besuch im Labor der Utopien  | Le Monde diplomatique 060811 
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