Freiheitsberaubung eines Journalisten während NATO-Sicherheitskonferenz

nils hedin 26.02.2003 20:23 Themen: Medien Militarismus Repression
Gedächtnisprotokoll eines Journalisten (in München tätig für kanalB, www.kanalB.de), der während der NATO-Sicherhitskonferenz in München am 7./8.2.2003 für 18 Stunden in polizeilichen "Gewahrsam" genommen wurde.

Der festnehmde USK (Unterstützungs-Kommando)- Polizist: "Alle mit Meldeadresse in Berlin gehen in Gewahrsam."
Ich versuche hier den Ablauf chronologisch wiederzugeben wie ich ihn persönlich erlebt habe.

Im convergence center (Tröpflerbad)
Am Freitag, 7.2.03 gegen 22.50 Uhr stand ich im Jugendzentrum Tröpflerbad (in dem sich zu dieser Zeit das Convergence Center befand) auf der Treppe, die direkt vom Hauseingang in das 1.OG führt. Ich sah zu diesem Zeitpunkt an der Haustüre ein kurzes Gerangel zwischen einem stämmigen Mann (A) (wie sich später herausstellte, ein Zivilpolizist) in hellblauer (Jeans-) Kleidung und anderen Personen. A rannte die Treppe hinauf. Ich ging auf ihn zu und sagte zu ihm ?Ganz ruhig, was ist denn los?". A sagte zu mir leise ?Polizei". Ich dreht mich um (zu diesem Zeitpunkt stand ich am oberen Ende der Treppe wo sich eine Tür befindet die offen stand) und rief in den Flur, der zum Cafe führt, hinein: ?Polizei!". A schob mich zur Seite und stürmte in den Flur. Personen die sich neben der Tür befanden versuchen die Türe zum Flur zuzumachen. Das gelang ihnen nicht. A folgten sofort ca. 30 Polizisten in Schutzkleidung (Panzerung und z.T. mit Helmen auf dem Kopf). Ich stand in Blickrichtung zum Cafe rechts an der Treppenhauswand direkt vor der Tür zum Flur. Den Polizisten , die direkt an mir vorbei in den Flur stürmten sagte ich wiederholt: ?Ganz ruhig.". Nach dem keine Polizisten mehr an mir vorbei rannten ging ich die Treppe hinunter um das Gebäude zu verlassen. Als ich den halben Weg auf der Treppe nach unten war, gab ein Polizist die Anweisung, dass keiner das Gebäude verlassen dürfe und alle die sich auf der Treppe befänden, sich an die Wand (in Blickrichtung zum Cafe die linke Wandseite) stellen sollten. Dieser Aufforderung folgte ich zunächst nicht. Stattdessen fragte ich einen Polizisten nach den Gründen für diese Polizeiaktion. Er
sagte: ?Razzia" und noch etwas anderes. Daraufhin stellte ich mich mit dem Rücken zur Wand. Links und Rechts neben mir mir standen weitere Personen. Vor mir stand ein Polizist (B). Er forderte mich auf die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. Auf meine Nachfrage nach dem Grund sagte er ?Zum Eigenschutz." Ich nahm die Hände aus den Taschen. B stand daraufhin für ca.15 Minuten in ca. 1 m Entfernung bedrohlich direkt vor mir. Um ca. 23:05 kamen zwei ältere Männer ins Gebäude (der eine stellte sich der Polizei auf Nachfrage als Demonstrations-Veranstalter vor. Ich sagte ihm was bisher passierte. Die beiden Männer wurden von der Polizei aus dem Gebäude gedrängt.
Um ca. 23:15 sagte ich zu B, ich sei Journalist, ich wolle jetzt gehen und meiner Arbeit nahgehen. B sagte in etwa, das falle mir ja bald ein, jetzt hätte ich lange Zeit gehabt mir etwas zu überlegen. Ich sagte ihm ich hätte einen Presseausweis, den wolle ich ihm zeigen. Ich suchte in meinen Taschen nach meinem Presseausweis. Ein Polizist C der rechts neben B (weiter zur Haustür hin stand) kam auf mich zu und sagte ich solle aufhören in meine Taschen zu fassen. (Ich bin mir unsicher ob ich meinen Presseausweis diesem Polizisten in dieser Situation zeigte.) die Polizisten erklärten sich einverstanden mich nach draußen zu führen. C fragte mich vor her noch ob ich noch etwas im Cafe zu zahlen hätte. Ich sagte ihm, das ging ihn nicht an. Er sagte, doch und begründete das irgendwie. Ich sagte schließlich ?Nein". Er in etwa: ?Was soll das heißen". Ich: ?Was für eine Frage haben sie mir denn gerade gestellt?" Ich drehte mich zum Ausgang und sagte zu dem Polizisten D der mich raus führen sollte, dass ich jetzt gehen wollte. Er ging mit mir die Treppe hinunter. An der Haustüre kam Polizist C (mit dem ich das Streitgepräch wegen der Zahlung hatte) auf mir hinterher. Er fasste mich am Arm und sagte etwas bedrohliches. Ich sagte ihm, er solle mich nicht anfassen. D sagte ich soll es jetzt mal gut sein lassen. Ich sagte zu ihm sein Kollege solle es mal gut sein lassen. Ich ging mit D nach draußen auf die Straße vor dem Gebäude. Ich zeigte D meinen Personalausweis und meinen Presseausweis. Ich fragte D was er jetzt weiter mit mir vorhabe. Er sagte: Alle mit Berliner Meldeadresse gehen in Gewahrsam. Ich fragte verwundert nach. Ein Polizist der neben D stand sagt: ?Nicht nur alle aus Berlin, auch aus anderen Städten." D schaute auf ein Papier und ergänzte: ?Anweisung vom Polizei-(präsidenten, da bin ich mir unsicher), genaue Begründung wird nachgereicht.". Ich rief zu Menschen die diese Situation beobachteten: ?Alle aus Berlin werden in Gewahrsam genommen." D, dem ich meinen Personalausweis gab, fragte mich ob meine Meldeadresse noch aktuell sei. Ich bejahte. D gab meinen Personalausweis in einen dunkelblauen VW-Bus. Ich wartete. Ein Polizist versuchte 2-3 mal mich zu fotographieren. Ich drehte mich jeweils weg, so dass er kein Foto machen konnte. Nach ca. 5 min Warten vor dem Bus trat ich an den Bus heran, stellte mich dem Mann E, der am Tisch sahs vor, sagte ich wäre Journalist, ich wollte jetzt meinen Perso zurück und meiner Arbeit nachgehen. E antwortete nicht. Ein anderer Polizist, vielleicht D, sagte meine Personalien würden aufgenommen. Ich sagte, das könne ja nicht so lange dauern, E solle sie doch einfach aufschreiben. Ein Polizist sagte, die Personalien würden auch noch überprüft, das dauere eine Weile. Schließlich wurde D mein Personalausweis zurückgegeben. Ich protestierte wieder bei D, ich sei Journalist, ich wolle jetzt gehen. Er sagte das dürfe er nicht tun. Ich sagte ich wolle seinen Vorgesetzten sprechen. Er zeigte mir seinen Vorgesetzten (ein ca. 2m großer schlanker Mann, ca. 45 Jahre alt). Ich brachte meine Beschwerde vor. Er wies D an mich weg zu bringen. Ich ging mit D einige Meter weg, fragte ihn wo er mich jetzt hinbringe, das ich gehen wollte. Er sagte, bisher sei er freundlich zu mir gewesen, aber wenn ich jetzt nicht aufhöre mich zu beschweren müsse er Gewalt anwenden (so drückte er sich sinngemäß aus). Ich könne mich auf der Wache beschweren. Er könne es nicht verantworten mich laufen zu lassen, dann würde er Probleme bekommen. Ich sagte ihm ich wolle nochmal mit seinem Vorgesetzten sprechen. D fasste mich am Arm. Ich sagte ihm er solle mich nicht anfassen. Er lies mich wieder los. Danach ging ich mit ihm zu einem andern Wagen. Dort wurde etwas aufgeschrieben, festgestellt dass ich mich geweigert hatte ein Foto machen zu lassen und dass ich das auch verweigern dürfe. Dann brachte D mich zu einem Gefangenentransporter (weinroter VW-Bus, ?Bully").

Im Gefangenentransporter
Als ich gegen 23.45 Uhr (plus/minus 10 min) in den Gefangegentransporter gebracht wurde saß bereits eine junge blonde Frau (E) mit einem Piercing-Ring in der unteren Lippe in der hinteren Sitzreihe. Ich musste mich auf die erste Sitzreihe setzen. Mein Rucksack wurde mir von F, einem der beiden Polizisten die zu diesem Wagen gehörten, abgenommen und hinten in den Wagen geladen. Ich war von E durch eine Glasscheibe und ein Metallgitter getrennt. E saß aufrecht mit starrem Blick und zitterte stark am ganzen Körper. Erst dachte ich sie ist einfach erschrocken und ihr ist kalt. Sie bewegte sich aber nicht und zitterte immer weiter. Nach ca. 1min klopfte ich an der Trennscheibe zu ihr und fragte sie was los sei. Sie reagierte nicht. Die Schiebetür des Wagen war in der hier beschriebene Zeit immer offen. Ich rief zu F, der draußen stand, das etwas mit E nicht stimme, sie reagiere nicht. F kam in den Wagen, ging zu E, sprach sie wohl an. F ging hinaus und rief nach Polizei-Sanitätern. Ca. 1min später kamen 2 Polizeisanitäter (G und H). Beide waren sehr jung. G, der zu E ging war besonders jung (Anfang 20). G sprach sie an, leuchtete ihr mit einer Taschenlampe in die Augen. Er forderte H dringend auf ihm eine Plastiktüte zu geben. H und Polizisten die um die Wagentür herumstanden suchten kurz danach, konnten aber keine Tüte auftreiben. Daraufhin legte G E auf die Sitzbank und machte offenbar eine Mund-zu-Mund Beatmung bei ihr. (ich saß in der ganzen Zeit in der ersten Sitzreihe, also ca. 1,5 m von E entfernt). Der zweite Polizeisanitäter H stand direkt vor der Schiebetür oder direkt an ihr im Wagen und beobachtete G
und diese Beatmung. Er lachte über die Mund-zu-Mund Beatmung! Er machte Bemerkungen zu seinen Kollegen, die am Wagen standen, von wegen G habe da seinen Spaß mit der Frau. G beatmete ca. 1-2 min, drehte sich dann zu H um und forderte ihn dringend auf ihm eine Beatmungsmaske (über den Begriff den G benutzte bin ich mir nicht ganz sicher, sinngemäß war aber so etwas gemeint)
zu geben und beatmete dann sofort weiter. H hatte seinen Koffer mit Hilfsmitteln erst auf dem Boden des Wagens stehen. Er hantierte daran ohne etwas zu finden, stellte den Koffer dann direkt neben mich auf die 1. Sitzreihe und suchte weiter darin. Er wusste offenbar nicht wo er suchen sollte. Er öffnete die von mir aus rechte Seitentasche, dann die vordere Aussentasche und fand aber das Gesuchte nicht. Als er den Koffer neben mich
stellte sagte er in etwa: ?So jetzt muss ich X suchen.". Er suchte ca. 1 min ohne etwas zu finden. Von aussen kam ein Mann (I) mit Demo-Sanitäterbinde am Arm, sagte er wäre Sanitäter und fragte ob er helfen könne. Das wurde bejaht. Er ging im Wagen nach hinten. Dort sahs E wieder auf der Bank, nach dem sie
vorher lag, zitterte nicht mehr, atmete von selbst. G sagte mehrmals zu ihr: ?Sie können selbst atmen, atmen sie ganz ruhig.". I ging vor ihr in die Hocke, G stand gebückt links neben E. G sagte zu I u.a.: Sie war 30 Sekunden
weg.". Von aussen kamen Leute ich glaube vom EA und fragten ob ein Rettungswagen gebraucht würde. Ihnen wurde von draußen stehenden Polizisten geantwortet, dieser sei unterwegs. Nach meinem Eindruck wurde der zivile Rettungsdienst zu spät informiert. Ein höhere Polizist (mit ca. 3 Sternen auf der Schulterklappe und Schirmmütze) kam an die Schiebetüre, schaute kurz hinein, sah, dass E lebte (darum ging es ihm nach meinem Eindruck) und sagte sinngemäß: ?Da ist sie ja . Dann ist ja alles in Ordnung". Erleichtert ging er sofort wieder. Draußen kam eine Polizistin und sagte, E habe sich stark gewehrt. F sagte, E habe wahrscheinlich nur so getan als ging es ihr nicht
gut. Ich widersprach ihm sinngemaß: ?Da war überhaupt nichts gestellt!". Draußen kamen nochmals ZivilistInnen und fragten ob der Rettungswagen informiert sei. Ein ziviler Rettungssanitäter kam an die Tür. E wurde hinaus geführt. Ich war dann zunächst alleine im Wagen. Später erfuhr ich, dass E und I auch in Gewahrsam genommen wurde. In den Wagen wurden noch 4-5 andere Gefangene gebracht. Dann fuhr der Wagen in die Ettstraße.

Im Polizeipräsidium Ettstraße
Dort saßen standen wir ca. 30 min (bis 0:45 Uhr) auf im Wagen auf dem Hof. Einer Frau von uns wurde für ca. 20 min verweigert aufs Klo zu gehen, nach dem sie vorher schon nicht aufs Klo durfte. In der Ettstraße wurden ich im EG zunächst von Herrn Kriminal-Oberkommisar Edelmann und Herrn Wimmer ?empfangen". Hier protestierte ich erneut gegen meine Festnahme als Journalist und zeigte meinen Presseausweis. Meine Ingewahrsamnahme sei illegal sagte ich. Die Antwort von Edelmann: ?Sie können sich beim Richter beschweren.". Auf meine Frage, wer vor Ort Verantwortlich war sagte Edelmann, das sei Polizeiführer Notka gewesen. Meine Personalien wurden noch mal
aufgenommen, ich wurde am Körper abgetastet und durchsucht, ein Foto wurde von mir gegen meinen Willen gemacht: zunächst weigerte ich mich ein Foto machen zu lassen. Dazu hielt ich mir eine Zeitung vor das Gesicht. Herr Wimmer, der das Foto machen wollte kam darauf hin auf mich zu , riss mir die Zeitung aus der Hand und drohte mir körperliche Gewalt an wenn ich mich
widersetze. Er machte dann das Foto. Ich notierte mir die Namen der beiden. Wimmer nahm mir daraufhin meinen Stift und die Zeitung weg, auf die ich ihre Namen schrieb Ich wurde höher ins Gebäude geführt, wurde eingesperrt, musste meine Schnürsenkel aus den Schuhen machen, meine Sachen wurden mir abgenommen, bis auf Lebensmittel ohne Verpackung. Ich kam in die nächste Zelle, dann in die entgültige Gemeinschaftszelle. Gegen 3:30 Uhr wurde ich zu zwei Sachbearbeitern gebracht. Die Begründung für die Ingewarsamnahme war jetzt: ?Es liegen polizeiliche Erkenntnisse vor, dass Straftaten geplant wurden." Auch hier erklärte ich, ich sei Journalist. Einer der beiden Sachbearbeiter meinte dazu, ich sei eben zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, beschweren könne ich mich am Morgen beim Richter. Meinen Anrufs bei der Redaktion von kanalB hörten die beiden Sachbearbeiter durch den eingebauten Lautsprecher im Telefon mit.

Freigelassen wurde ich am Samstag, 8.2. gegen 16 Uhr nach dem Gespräch mit dem Amtsrichter. Vor der Wache wurde mir noch mündlich en Platzverweis "für die Sicherheitszone" erteilt und angedroht, man werde mich wieder in Gewahrsam nehmen.
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Ergänzungen

Befehl vom König

till 26.02.2003 - 22:34
Kurz vor Weihnachten wurde ich in Hamburg nach Kesselung ebenfalls ohne Grund mithilfe von Kabelbindern ingewahrsam genommen. Ohne Grund aber nur anfangs. Dann hieß es nämlich irgendwann "Befehl vom König" und am Ende dann offiziell "Schutz der Stadt".
Fazit? Bullen und der Staat, der denen solche Macht zur Freiheitsberaubung gibt, sind einfach nur ätzend und müssen bekämpft werden.
Tja, Journalist also. Bei uns war da eine einkaufende normale Frau mittleren Alters mit von der Partie deren 10jähriger Sohn außerhalb des Kessels war. Nach dem stundelangen Warten und der anschließenden Erklärung ist der Balger bestimmt auch ein wenig, hoffentlich nachhaltig, anti geworden.

Skandal

knusperjoghurt 26.02.2003 - 22:46
Das ist ein riesen Skandal, ich würde dagegen klagen. Die Klagen von letztem Jahr haben ja langsam vor dem Landesgericht Erfolg.
Vielleicht könnte man dies auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.
Keine Ahnung ob ihr sowas toll findet, aber vielleicht interessiert sowas Panorama oder Monitor. Fragen könnte man ja.

berliner 27.02.2003 - 10:41
die selektion nach herkunftsstadt "berlin" kann ich bestaetigen.

evtl.

Sani 28.02.2003 - 13:07
könnte es auch sein, dass der Bullensani nach einer :
?Hyperventilationsmaske?
gefragt hat. Deine Schilderung der Situation lässt so etwas vermuten. Eine Hyperventilation ist kein Atemstillstand, sondern eine zu heftige Atmung, zumeist aufgrund von starker psychischer Erregung / Anstrengung. Hierbei wird zuviel Kohlendioxid abgeatmet, was als Konsequenz solche Muskelkrämpfe / Muskelzittern auslöst. Mit Hilfe einer Plastiktüte oder einer Hyperventilationsmaske, kann CO2 rückgeatmet werden, was zügig zu einer Besserung der Symptome führt. Eine Hyperventilationstetanie ist übrigens nur bedingt gefährlich, es sollte aber zumindest differentialdiagnostisch abgeklärt werden, ob sich evtl. etwas anderes dahinter verbirgt.
MfG ein Demosani