Zahltag 2 in Berlin

lesender arbeiter 29.04.2009 01:55 Themen: Soziale Kämpfe
Jobcenter Neukölln, Sonnenallee, 28.10.09 10 Uhr. Die Schlange der Erwerbslosen reicht schon fast bis an die Tür. Soweit eigentlich Alltag am Jobcenter. Doch nicht ganz: Ca. 30 Leute haben ein Zelt aufgestellt und Tische aufgebaut.
Sie verteilten an die Wartenden mit der Überschrift
„Keiner muss allein zum Amt!« So lautet auch das Motto der gemeinsamen Aktion von
Mayday-Bündnis und Aktions-AG der Krisendemo, die am Dienstag zum zweiten Mal in Berlin stattfand:
Bereits am 05.03. fand eine „Keine/r muss allein zu Amt“-Aktion vor und
im JobCenter Pankow statt ( siehe dazu:  http://de.indymedia.org/2009/03/243363.shtml
und Ziel der Aktion war es, einen solidarischen
Begleitschutz - oder wie es rechtlich heißt „Beistand“ (SGB X, §13) -
praktisch anzubieten und damit die Idee einer Selbstorganisation der
gegenseitigen Hilfe unter Hartz-VI-Empfänger/innen zu stärken
( http://de.indymedia.org/2009/03/243392.shtml). Denn oft
entstehen Situationen auf dem Amt, die sich zuspitzen und konfrontativ
werden. Viele Betroffene sind damit alleine überfordert. In solchen
Momenten wirkt es Wunder, eine Person an der Seite zu haben. Mit
Begleitung sind oftmals Dinge durchsetzbar, die es alleine nicht sind.
Die positive Resonanz, die schon am 5. März bei der Aktion im Jobcenter Pankow zu beobachten war, wiederholte sich in Neukölln. Viele Leute waren richtig froh, über die Zumutungen zu berichten, die sie im Jobcenter erlebten.
Tatort Jobcenter

Viele fragten auch nach BeraterInnen und BegleiterInnen. Auch für viele, die nun wirklich keine Illusionen haben, merken, dass die schlimmsten Erwartungen noch übertroffen werden. Schon ein Besuch von einigen Stunden Zeit. Das Jobcenter ist für viele Menschen eine Quelle von Schikanen und Demütigungen.

Nur einige Beispiele:

Ein Mann mittleren Alters schrie erregt im Foyer des Jobcenters und schimpfte auf die MitarbeiterInnen. Sofort kamen einige Polizisten angerannt. Er erklärte erregt, dass er sauer ist, weil er wieder mit einem Antrag vertröstet worden sei und dass er jetzt schon mehrere Wochen hingehalten werde und am Ende sei.

Eine Frau bat um Begleitung. Sie will beim Jobcenter den Umzug in eine größere Wohnung durchsetzen, weil ihr Mann nach einem Schlaganfall im Wachkoma. Weil die bisherige Wohnung zu klein ist, muss er weiter in einer Rehabilitationsklinik bleiben. Seine Familie will möchte dass er aus der Klinik kommt, doch dafür braucht er die größere Wohnung. Doch die Sachbearbeiterin vom Jobcenter verlangt, dass vorher eine Bescheinigung vorliegen muss, dass das Gewerbe des Patienten abgemeldet worden ist. Dabei gibt es mehrere Bescheinigungen , die belegen, dass der Mann gar kein Gewerbe mehr ausüben kann. Auch am Dienstag konnte die Angelegenheit nicht geklärt werden, obwohl die Begleiterin mit klaren Argumenten darlegte, wie absurd die Forderung des Amtes ist.
Ein anderer Fall: Ein Mann und eine Frau mittleren Alters wollen eine Begleitung. Sie werden seit Monaten bei der Kostenübernahme für einen Wohnungsumzug hingehalten. Das Amt argumentiert damit, dass ein Auto vorhanden ist. Außerdem seien mehrmals für die Familie diskriminierende Äußerungen gefallen, wie die Formulierung, dass sie Almosen beantragt hätten. Mittlerweile hatte die Familie eine Klage eingereicht.
Solche und ähnliche Fälle wurden ständig berichtet. Einige der Äußerungen wurden auf Zetteln an einer Leine aufgehängt. Es sind erschreckende Dokumente alltäglicher Diskriminierung im Jobcenter. Viele Leute fragen, ob die Aktion häufiger gemacht wird. Das ist angestrebt. Es soll demnächst ein Treffen der Beteiligten geben. Darunter waren neben Mayday-AktivistInnen auch MitarbeiterInnen von Erwerbsloseninitiativen aus Neukölln.

Kritikpunkte:

Für künftige Aktionen hier auch einige Kritikpunkte, die von verschiedener Seite geäußert wurden.
Der Begriff Meckerecke für die dokumentierten Äußerungen sollte geändert werden, weil damit die Äußerungen nicht Ernst genommen werden oder zumindest verharmloste werden. So sollte statt dessen: Betroffene berichten oder Tatort Jobcenter verwendet werden.
Besser auf die Begleitung aufmerksam machen. Anders als im März in Pankow war in Neukölln nicht allen Erwerbslosen klar, dass es die Begleitmöglichkeit gibt. Das lag daran, dass viele Menschen gar nicht an den Zelt und dem Infostand vorbeigingen sondern auf anderen Weg das Jobcenter betraten. Hier sollte für alle gut sichtbar noch mal das Motto deutlich werden.
Mehr BegleiterInnen und BeraterInnen: Es sollten auch mehr BegleiterInnen und Beraterinnen anwesend sein. Dabei muss bei der Beratung immer deutlich gemacht werden, dass es sich nicht um eine juristische Beratung geht, sondern eine ganz klar die Interessen der Erwerbslosen unterstützende Intervention. Dazu sind auch solidarische Menschen von Beratungsstellen aufgefordert, sich zu engagieren.
Mit Presse arbeiten: Einige der vorgetragenen Fälle sind so offensichtlich absurd, dass eine gezielte Pressearbeit Abhilfe schaffen könnten. Das dürfte beispielsweise bei den oben kurz geschilderten Fall mit dem Mann in Wachkoma sein. Ein Bericht in einer Zeitung könnte vielleicht eine Entscheidung im Sinne der Familie beschleunigen. Es sollten also bei jeder Aktion einige PressevertreterInnen anwesend sein, die bei solchen Fällen zu recherchieren beginnt. Eine Anfrage von Verantwortlichen des Jobcenters gehört dazu. Dabei ist natürlich auf das Interesse nach Anonymität der Betroffenen zu achten, aber das ist auch möglich. Es ist nur wichtig, dass dann auch PressevertreterInnen vor Ort sind, wenn solche Fälle bekannt werden. Sonst wäre die Arbeit mit langwierigen Recherchen verbunden, die Betroffenen müssten Daten von sich preisgeben etc. Das kann mit JournalistInnen vor Ort vereinfacht werden. Denn letztlich ist auch klar. Der Tatort Jobcenter funktioniert durch Angst, Vereinzelung und Anonymität. Durch die Aktion „Niemand muss allein zum Amt“ kann ein Stück weit die Angst zurück gedrängt werden, die Betroffenen erleben, dass sie, wenn sie nicht mehr vereinzelt sind, dass man was erreichen kann und die Anonymität kann durch gezielte Pressearbeit auch durchbrochen werden.

Gefährliche Klassen treffen auf gefährliche Orte:

Die Aktion Berliner Zahltag 2 war ein Erfolg und kann ausgeweitet werden. Es ist ein Beispiel für gezielte politische Intervention. Am Mittwoch wird es ab 19 Uhr auf dem Hermannplatz eine Videokundung zum Thema Soziale Kämpfe geben.
Dort werden in Wortbeiträgen und mit Videoschnipsel verschiedene Arbeitskämpfe und soziale Auseinandersetzungen der letzten Zeit vorgestellt. Darunter Aktionen im Jobcenter, der Uni, Streiks in Kinos, bei der Bahn, im Einzelhandel, den Ambulanten Diensten und vieles mehr.
Der Ort Hermannplatz ist bewusst gewählt. Er ist ein Treffpunkt für viele Menschen in prekären Arbeits- und Lebensweisen aus verschiedenen Ländern zusammen. Sie haben in diesen Land oft keine Interessenvertretung. Der Hermannplatz gilt in den Planungen der Sicherheitsorgane als sogenannte „gefährlichen Plätze“, die besonderer Kontrolle und Überwachung ausgesetzt sind. Mit der Wahl dieses Ortes wollen wir deutlich machen, dass die Kämpfe gegen kapitalistische Zumutungen nicht nicht nur weiß, deutsch und männlich sind. Die Veranstaltung ist Teil des Mayday-Prozesses, der Widerstand gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnissen über den 1. Mai anregen sollen.
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Ergänzungen

Video

kanalB 29.04.2009 - 08:11

'Zahltag!' in Bonn

agenturschluss 29.04.2009 - 15:38
Solidarische Grüße nach Berlin!!! In immer mehr Städten etablieren sich zum Monatsanfang 'Zahltage!' vor den Jobcentern und ARGEn! Gerade im Kontext der Krise gibt es aber auch erste ernstzunehmende Ansätze, die Idee der Kampagne und ihre Aktionsform auch mit anderen sozialen Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfen zu vernetzen. Stichwort: SOLIDARITÄT!


ZAHLTAG! – Schluss mit den ARGEn-Schikanen in Bonn!

Aufruf von „agenturschluss“ zur überregionalen Aktion gegen Hartz IV und ARGEn-
Schikanen am 04. Mai 2009 an der ARGE Bonn:
Dass das Arbeitslosengeld pünktlich auf dem Konto ist, ist lange nicht selbstverständlich.
Selbstverständlich sind dagegen Schikane, Nötigung, Demütigung und ein martialisch
anmutender Sicherheitsdienst der ARGE gegen Erwerbslose.
Das hat System und das System ist einfach: Druck von oben wird nach unten weitergereicht!
Betroffene werden angegriffen, finanziell sanktioniert, entrechtet, entwürdigt und entwürdigend diszipliniert.

Das ist der Grund, warum wir mit Euch am Montag 04. Mai 2009 zur Aktion „Zahltag!“ an der
ARGE Bonn Aktionen zusammen machen werden. Schon mehrmals haben „Zahltag-Aktionen“
für Unruhe bei den ARGEn gesorgt und das Ergebnis war, dass zahlreiche Erwerbslose ihr Geld
bekamen oder andere Anliegen durchsetzen konnten.

Unser Erfolgsgeheimnis ist: Geh nicht alleine zur ARGE!
Übrigens befindet sich das zuständige Bundesministerium für Arbeit- und Soziales, wo die
grausamen Hartz IV-Gesetze erarbeitet werden gegenüber der ARGE. Es spricht viel dafür, bei
unserer Aktion das Ministerium mit einzuschließen!

ARGE - es reicht!
Kommt alle zum „Zahltag“ zur ARGE Bonn am Montag den 04. Mai 2009
Bonn, Rochusstr. 6
ab 08:00 Uhr

Programm:
- Aktion 'Zahltag!':
Gemeinsam wollen wir die Auszahlung verweigerter Leistungen durchsetzen
Niemand geht allein;

- Offene Hartz IV-Beratung:
Die Initiativen Tacheles e. V., Die KEAs aus Köln und Mitglieder des Erwerbslosen Forum
Deutschland bieten Sozialberatung und aktuelle Informationen zu HartzIV;

- Öffentliche Versammlung, Protest und Infos:
zu HartzIV & Widerstand gegen Schikanen der ARGE;

- Imbiss:
Für Verpflegung ist gesorgt;

- Kultur:
Klaus der Geiger (Köln) u.a.

Die Aktion 'Zahltag!' steht mittlerweile bundesweit für eine Aktionsform von unmittelbarer,
kollektiver Selbstermächtigung und -Verteidigung gegen einen fortwährenden sozialen Angriff von oben. Im Rahmen des 'ZAHLTAG!' wird es große und kleine Aktionen geben, die das ARGE Geschäft direkt in Frage stellen. Mit der Aktionsform 'ZAHLTAG!' geht es uns nicht darum, mit der ARGE in einen Dialog zu treten. Wir wollen kein besseres und kein anderes HartzIV, sondern dessen Abschaffung. Wir wollen uns selbst und selbstbewusst vertreten und uns gemeinsam zur Wehr setzen.

Kontakt:  agenturschluss_bonn@gmx.de

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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