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Updated: 18.12.2012 15:51
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Rund um die Uhr

Zum Ende des Ladenschlusses – ein Rückblick von Anton Kobel

Wer hat uns verraten! – Sozialdemokraten?
Wer war dabei? – die Linkspartei!
Aber wo war ver.di!?

Der 100-jährige Kampf um ein Ladenschlussgesetz in Deutschland war immer auch ein Kampf um das Arbeitsende, gegen Nacht-, Sonntags- und Feiertags- sowie gegen Ausweitung der Schichtarbeit im Einzelhandel. Gegen Vernichtungswettbewerb und weitere Konzentration durch gesetzliche Beschränkung der Wettbewerbszeiten. Ein Kampf der Innenstadt-Kaufhäuser und -Läden gegen die Einkaufszentren auf den ehemals grünen, heutigen Betonwiesen, der Fachgeschäfte mit Bedienung und Beratung gegen personalarme SB-Warenhäuser, Verbrauchermärkte und Discounter. Neben ökonomischen und sozialen Werten ging es auch um die Erhaltung gemeinsamer Zeiten für Familie und Kinder, Vereine, Parteien, Kultur und in den Betrieben des Einzelhandels z.B. für Betriebsversammlungen, um die Sicherheit des Personals vor Überfällen, um sonntägliche, religiöse Betätigungen, um Entschleunigung in der Gesellschaft durch gemeinsame Ruhezeiten und Arbeitspausen. Solange die Grünen noch grün waren und die SPD noch vor Schröder war auch der Zusammenhang von Ökologie und Ladenschluss ein Thema: mit dem ÖPNV in die Stadt oder mit dem Auto auf die »grüne Wiese«? Kosten für Energie, Licht, Heizung, Rolltreppen usw. oder für Bedienungspersonal ausgeben? In den Städten und Gemeinden wurde ernsthaft diskutiert, wie sinnvoll es ist, wegen längerer Ladenöffnungszeiten Busse und Straßenbahnen länger fahren zu lassen, Kindergärten und -tagesstätten länger offen zu halten. Es ging beim Thema Ladenschluss um für die Gesellschaft fragwürdige Kosten bzw. um deren Externalisierung durch die Handelskonzerne. Es ging auch um so banal klingende Themen wie: Gibt es weiterhin eine fußläufige Versorgung mit Lebensmitteln in den Stadtteilen, kleineren Städten und Gemeinden?

2006/7 wurde das immer wieder heftig und kontrovers diskutierte Ladenschlussgesetz nicht, wie von der FDP und großen Teilen der CDU gefordert, »liberalisiert«, sondern gemeinsam von CDU, SPD und Linkspartei komplett abgeschafft. Ob die o.g. Diskussion jetzt ein Ende hat? Oder kommt sie wieder? Und wenn ja: in welchem Gewande?

Ladenschluss und SPD

Jahrzehntelang stand die SPD beim Ladenschluss an der Seite der Handelsbeschäftigten und deren Gewerkschaft sowie der Klein- und Mittelbetriebe. »18 Uhr 30 Feierabend« war auch 1989 ihr Slogan, als es gegen den von CDU/CSU/FDP schließlich durchgesetzten so genannten Dienstleistungsabend an Donnerstagen ging. Als CDU/FDP 1995/96 eine erneute Ausweitung der Öffnungszeiten planten, drängten sich alle führenden Sozialdemokraten während des SPD-Parteitages vom 14.–17. November 1995 in Mannheim neben die zahlreichen Demonstranten der Gewerkschaft HBV, um sich für die Presse günstig ins Bild zu setzen. Der Parteitag lehnte längere Öffnungszeiten ab, versicherte den Beschäftigten und HBV Solidarität. Die SPD ließ in der Folge keine Gelegenheit aus, Gemeinsamkeit zu demonstrieren und lehnte im Bundestag – wie die Grünen – die 1996 erfolgte Verlängerung montags-freitags bis 20 Uhr ab. Rot-Grün ließ sich 1998 mit entsprechenden Zusagen wählen, der neue SPD-Arbeitsminister Walter Riester ließ sich auf dem HBV-Gewerkschaftstag überschwänglich feiern. 2003 hatte die Gemeinsamkeit ein Ende. Rot-Grün verlängerte an Samstagen die Ladenöffnung bis 20 Uhr. Die Begründungen waren seit 1989 dieselben: Dies bringt Umsätze und schafft Arbeitsplätze. Laut Aussagen des damaligen FDP-Wirtschaftsministers Rexroth und des Münchner Ifo-Instituts sollten es 1996 50000 Arbeitsplätze und 20 Milliarden DM mehr Umsatz sein. Auch die Kunden wollten, so die Behauptung, eine Verlängerung der Öffnungszeiten. Nichts von dem war eingetroffen; es gab vielmehr immer eine große Mehrheit in der Gesellschaft, der die Einkaufszeiten ausgereicht hat. JedeR wusste, dass das Ladenschlussgesetz ein gesellschaftlicher Kompromiss ist. Umsätze hängen von der Kaufkraft und nicht von den Einkaufszeiten ab.

Nach der Bundestagswahl 2005 kam ohne Ankündigung dann die ganz große Wende – trickreich sagen die einen, andere nennen es verschlagen, wieder andere dilettantisch. Im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 hatte die SPD mit CDU/CSU vereinbart, dass die Gesetzgebung zum Ladenschluss künftig den Bundesländern zustehen soll, mit dem Zusatz: »Es ist gesetzlich zu regeln, dass Einzelhandelsgeschäfte höchstens an vier Sonntagen im Jahr geöffnet haben.« Letzteres erfolgte nach Intervention von ver.di. Nach der Zustimmung des Bundestages am 28. August 2006 mit den SPD-Stimmen zur so genannten Föderalismusreform war das Resultat, d.h. die Entscheidung in den Ländern absehbar: Weg mit dem Ladenschluss! Die Finger sollten sich die in den Bundesländern schmutzig machen, die SPD auf Bundesebene bleibt dabei sauber.

Und zur Überraschung von ver.di teilte Franz Müntefering als Bundesminister für Arbeit und Soziales der für den Handel zuständigen, stellvertretenden Vorsitzenden Margret Mönig-Raane am 6. Juli 2006 mit: »Eine Beschränkung der Ladenöffnung auf vier Sonntage durch Bundesgesetz ist nach der Verabschiedung der Verfassungsreform (d.h. der Föderalismusreform, A.K.) nicht mehr möglich.« Lapidar wies Müntefering noch darauf hin, nur die Bundesländer könnten eine solche Beschränkung gesetzlich regeln! Wie meinte doch vor Jahren Prof. Bodo Zeuner, FU Berlin: Nicht die Gewerkschaften haben die SPD, sondern die SPD hat die Gewerkschaften verabschiedet.

Und die Linkspartei.PDS!

Die Linke hält im Bundestag brav und gut dagegen, bringt alle Argumente, wie früher die SPD. In ver.di hoffen viele, dass die Linkspartei in den Bundesländern Zeichen setzt. Immerhin ist sie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung. Die Zeichen kommen, allerdings anders als erwartet. Der 9. November wurde erneut zum historischen Datum: Nach der Mauer fällt diesmal in Berlin das Ladenschlussgesetz. Rot-Rot – SPD und Linkspartei.PDS – zeigen CDU/CSU/FDP, wo es langgeht. Ohne großes Getue stimmte die Linkspartei kurz nach ihrer schweren Wahlniederlage zum Abgeordnetenhaus und noch vor der Wahl des Bürgermeisters Wowereit für die Abschaffung der Ladenschlusszeiten von montags bis samstags und für zehn verkaufsoffene Sonntage! Der Verzicht auf die dritte Lesung des Gesetzes spricht ebenso für sich wie der Fakt, dass der Druck des Amtsblattes um eine Woche vorgezogen wurde, um dem Spuk ein Ende zu machen. »Wir wollten uns schon jetzt, in der Vorweihnachtszeit als Shopping-Stadt präsentieren«, begründete ein Senatssprecher die Eile. Die junge welt kommentierte am 11. November 2006: »Wie schon beim Ausstieg aus dem Flächentarif macht sich die Berliner Landesregierung mit diesem Gesetz zum Vorreiter des neoliberalen Um- bzw. Abbaus.«

Im Umfeld der Linken tanzte der Bär. Auf dem Bundesparteitag der WASG am 18./19. November 2006 erhielten Oskar Lafontaine, Klaus Ernst und Bernd Riexinger tosenden Beifall, als sie das gerade acht Tage alte Berliner Gesetz geißelten. Der PDS-Beauftragte für die Fusion mit der WASG und frühere HBV-Landes-leiter von Thüringen Bodo Ramelow eierte funktionsgerecht in Interviews, gestand jedoch zu: »Aber ich will deutlich sagen, dass ich es ausgesprochen unangenehm finde, eine Entscheidung wie die zum Ladenschluss im Schweinsgalopp durchzupeitschen – und das in einer Situation, in der Berlin als Symbol gesehen wird.« (junge welt, 18./19. November 2006) Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linkspartei.PDS, Harald Werner, veröffentlichte zur Verteidigung des Berliner Gesetzes am 20. November 2006 ein unsägliches Papier, das alle Grenzen der Polemik und politischen Redlichkeit überschreitet. Harald Werner »argumentiert« hier mit Unwahrheiten (es gebe nur vier und nicht zehn verkaufsoffene Sonntage) sowie Halbwahrheiten. So sei das Gesetz »übrigens auch mit den Gewerkschaften beraten« worden. Demgegenüber hatte Günther Waschkuhn, der ver.di-Landesfachbereichsleiter von Berlin-Brandenburg, schon am 11. November 2006 öffentlich erklärt: »SPD und Linkspartei haben sich in dieser Frage als beratungsresistent erwiesen und sich ausschließlich der Lobby großer Einzelhandelskonzerne und Tourismusunternehmen gebeugt.« (junge welt, 11. November 2006) Die von Harald Werner betonten Arbeitnehmerschutzrechte, die im Gesetz neu enthalten seien, entfalten bei weitem nicht die von ihm propagierten Wirkungen.

Erwähnt werden soll, dass die drei Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Ulla Lötzer, Herbert Schui und Sabine Zimmermann, für die AG Wirtschaft der Fraktion am 27. November 2006 eine Stellungnahme veröffentlicht hatten, die weder am Gesetz noch an Harald Werner auch nur ein gutes Haar ließ. Ob so Politik funktioniert? Die einen fürs Hehre, die anderen fürs Pragmatische? Wohl nicht. Die Linke ist für viele im Handel gewerkschaftlich Aktive eine normale Partei geworden: Genauso geschwätzig in Oppositionszeiten wie unzuverlässig, wenn an den Futterkrippen der Macht.

Wo war ver.di?

Der Ladenschluss ist aus den eingangs genannten Gründen für die Beschäftigten im Einzel- und in Teilen des Großhandels ein wichtiges Thema. Für kein anderes Problem, nicht einmal für Lohn und Gehalt, konnten so viele Beschäftigte mobilisiert werden. Die Vielfalt der gewerkschaftlichen Aktionen seit 1988, die Bereitschaft, die Gewerkschaft durch Eintritt zu stärken, die Teilnahme von 50000 Beschäftigten an einer bundesweiten, sonntäglichen Demonstration am 28. April 1996 in Bonn zeigen dies. Und dennoch war in ver.di eine abnehmende Bereitschaft zur Verteidigung des Ladenschlussgesetzes zu bemerken. Zur bundesweiten Demo am 9. März 2003 in Berlin kamen trotz mangelhafter Mobilisierung noch 20000. Diese Demo musste schon in ver.di gegen harten Widerstand wichtiger ver.di-Führungskräfte im Handel und gegen einzelne Landesbezirke durchgesetzt werden. Gegen die 2006 drohende Abschaffung des Ladenschlusses war dann keine ernsthafte Mobilisierung mehr zu erkennen. Gespräche mit der SPD ›münteferingten‹ in der erwähnten Zusage gegenüber ver.di, mehr als vier Verkaufssonntage verhindern zu wollen. Damit signalisierte ver.di gegenüber den Parteien, insbesondere jedoch der SPD absolute Zurückhaltung bei kämpferischen Aktionen. So ist auch der Geschäftsbericht des Bundesfachbereichs Handel (5/2003-3/2007) bezeichnend: »Nicht nur vor dem Hintergrund der zunehmenden Debatte der Verlängerung der Ladenöffnungszeiten, sondern insbesondere auch im Zusammenhang mit der Debatte um die so genannte ›Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft‹ hat die Bundesfachgruppe Einzelhandel Aktivitäten zum Erhalt des freien Sonntages ergriffen und befragt mit einem einfachen Bogen Betriebsräte, Verbündete aus Kirchen und Gesellschaft sowie Politiker zu ihren Einstellungen zum freien Sonntag. Obwohl nicht allzu breit publiziert, gibt es erfreulichen Rücklauf.« (S. 31) Statt Mobilisierung der Mitglieder und Beschäftigten sowie der Gesamtorganisation ver.di ergab sich der Fachbereich Handel dem Schicksal. Das Einschalten von professoralen Gutachtern, »eine Veröffentlichung der Gutachten«, einige Prozesse vor Gerichten, die Gründung einer »Allianz für den freien Sonntag« mit Verbündeten, vor allem aus Kirchen, Proteste gegen Sonderöffnungszeiten bei der Fußball-WM 2006 sind schön und gut, machen jedoch als alleinige gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen keinen Eindruck – außer einen verheerenden bei den aktionswilligen Mitgliedern und FunktionärInnen. Schon die ver.di-Parole »Nicht mehr als vier verkaufsoffene Sonntage« war falsch. Nicht nur in Mannheim und Heidelberg, sondern auch in anderen Städten konnte bis dahin im Bündnis mit KommunalpolitikerInnen aus SPD, Linken, Grünen, z.T. auch aus CDU/CSU, sowie Kirchenleuten mehr als ein Verkaufssonntag verhindert werden. Und jetzt tritt ver.di für vier ein! ver.di Handel – quo vadis?!

Die negative Mitgliederentwicklung ist kein Zufall. Von 338823 Mitgliedern am 31. Dezember 2002 verblieben am 31. Dezember 2006 im Einzelhandel bundesweit noch 285812, und das bei immer noch ca 2,5 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel! Ob die ver.di-Strategie, in der Tarifrunde 2007 die Zuschläge von bisher 20 Prozent bei Spätöffnungen sowie 50 Prozent bei Nacht-, 100 Prozent bei Sonntags- und 150 Prozent bei Feiertagsarbeit zu verteidigen, den Abwärtstrend stoppen kann, ist fraglich. ver.di Handel steht am Scheideweg. Der bei der ver.di-Gründung 2001 größte Fachbereich ist nur noch zweiter hinter dem Gesundheitswesen. Letzterer hat bundesweit einige kämpferische und erfolgreiche Aktionen organisieren können. Ob das den Unterschied macht?

Ohne Ladenschlussgesetze

Mehrere Monate nach der Abschaffung des gesetzlichen Ladenschlusses ist die neue Situation wie zu erwarten. Höhere Umsätze gab es insgesamt weder im Weihnachtsgeschäft noch im 1. Quartal 2007. Vor allem die Discounter wie Lidl, Penny u.ä. öffnen länger und holen sich dadurch weitere Umsätze und Umsatzanteile. Dadurch, dass auch Einkaufszentren länger öffnen, kommt es zudem zu einer neuen regionalen Verteilung der Umsätze. Läden in Innenstädten und Umlandgemeinden verlieren Umsätze. Mehr Arbeitsplätze sind mit wenigen Ausnahmen – hier und da weitere Minijobber – nicht zu sehen. Verschlechtert haben sich unterdessen die Arbeitszeiten des Stammpersonals. Für die Kunden ist die Unübersichtlichkeit im Einzelhandel erneut gewachsen. Wann welcher Laden offen hat, wird selten abgesprochen. Um Abendverkäufe, vor allem das so genannte Moonlightshopping an Freitagen und Samstagen, sowie Sonntagsverkäufe attraktiv zu machen, werden Kunden mit allem möglichen umworben, von der Bauchtänzerin über den Tanzbären zu Rabatten, verbilligtem Essen und Trinken, bis hin zu Ablegemöglichkeiten für müde Kinder. Erfindungsreich versuchen die Unternehmen des Einzelhandels die dadurch entstehenden Kosten abzudrücken. Zahlen sollen die Kommunen, die Verkehrs- und Tourismusvereine sowie die Beschäftigten. Letzteren haben die Arbeitgeberverbände deshalb die Manteltarifverträge gekündigt. Das Ziel ist klar: »Vor dem Hintergrund der geänderten Rechtslage zur Ladenöffnung müssen auch die Regelungen in den Mantel-Tarifverträgen angepasst werden. Spätöffnungszuschläge ab 18.30 Uhr und samstags ab 14.30 Uhr sowie Nachtzuschläge bereits ab 20.00 Uhr sind mit der gesetzlichen Neuregelung sowie den geänderten Lebensgewohnheiten der Kunden nicht mehr vereinbar...«, so die Arbeitgeberverbände des Einzelhandels, HDE und BAG, am 12. Januar 2007. Und Teile der Wissenschaft machen auch weiter wie bisher: Jetzt geht’s gegen die Beschränkungen an Sonntagen und gegen »Planungs- und Bauvorschriften«, die die Ansiedlung von weiteren, insbesondere produktivitätsschwangeren Betriebsformen des Einzelhandels erschweren bzw. verhindern. So im Beitrag »Liberalisierungspotentiale im deutschen Einzelhandel konsequent nutzen«, veröffentlicht vom DIW Berlin am 6. Dezember 2006. Sankt Nikolaus hat wohl die nächsten faulen Eier parat.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/07


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