Plagiiert, beraten und verkauft?

McKinsey, Bertelsmann und Hartz IV

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Das Buch “Beraten und verkauft” von Thomas Leif wirbelte viel Staub auf und wurde zum Bestseller. Jetzt reklamiert der Korruptions-Spezialist Werner Rügemer etliche Passagen aus Leifs Buch für sich. Ein Rechtsstreit um Plagiate steht bevor, denn am 10.November lief die von Rügemers Anwalt gesetzte Frist ab. Rügemer hat gestern angekündigt, das Vergleichsangebot nicht anzunehmen und eine Klage wegen Verletzung des Copyrights einzureichen. Die Rolle von Bertelsmann als führender Politikberater droht dabei vernebelt zu werden.

Das Buch Beraten und verkauft erschien in einem der renommiertesten Verlage der Welt, bei C.Bertelsmann/Random House und hielt sich über Monate in der Bestsellerliste des “Spiegel” (25,1% Bertelsmann). Es trägt den Untertitel “McKinsey & Co. – der große Bluff der Unternehmensberater” und befasst sich unter anderem kritisch mit Politikberatern, ohne allerdings einen der ganz großen McKinsey-Kunden und führenden Think Tanks der deutschen Politikberatung zu erwähnen: die Bertelsmann-Stiftung, Haupteignerin des Bertelsmann-Konzerns.

So wirbt der C.Bertelsmann Verlag im Klappentext für sein brisantes Buch auch als “Schwarzbuch der Berater-Branche”, dessen Verkaufszahlen sich in der 10. Auflage binnen sechs Monaten inzwischen 100.000 verkauften Exemplaren nähern sollen. Leif zeige Innenansichten einer Branche, die sich als Schweige-Kartell abschotte, so der Klappentext, er enthülle ihre Strategien, Ergebnisse und Methoden. Nun sind die Methoden des Autors selbst in die Kritik geraten. Dies ist umso peinlicher, als Leif Mitbegründer und Vorsitzender von Netzwerk Recherche ist, einer Journalistenvereinigung, die ein strenges Berufsethos, einen eigenen Medienkodex und vor allem handwerklich sauber recherchierte Berichterstattung verficht.

Plagiate aus dem Konkurrenzbuch?

Bei handwerklich sauberer Recherche sollte so etwas nicht passieren, aber dennoch gerieten Textpassagen von Werner Rügemer in das Buch von Leif. Von Rügemer (s.a. das TP-Interview Der Staat entmachtet sich selbst) stammt das Buch Die Berater (2004), das ebenfalls Unternehmens- und Politikberatung kritisch hinterfragte. Rügemer hatte am 23.10.2004 Auszüge aus seinem Werk in der “Jungen Welt” publiziert, die mehr als nur Ähnlichkeit mit Leifs Bestseller aufweisen.

Auf den Buchseiten 82 und 84 finden sich über drei lange Absätze zum Enron-Skandal hinweg fast wortgleich Formulierungen aus Rügemers Artikel bei Leif wieder, was einen Zufall völlig ausschließt – von Leif wird lediglich ein falscher Quellennachweis auf einen Artikel von Andreas Oldag in der SZ gegeben. Nach einem Briefwechsel von Verlag, Autoren und Rügemers Anwalt fand sich in der 8. Auflage des Bestsellers daher der Hinweis auf Rügemer als Quelle der Textpassagen, deren klammheimliche Verwendung als “technisches Versehen” entschuldigt wird. Dies genügte dem Geschädigten jedoch nicht - und jetzt fehlen seine Textpassagen ab der 10.Auflage völlig.

Rügemer fordert für die Urheberrechtsverletzung bei den ersten ca. 50.000 verkauften Exemplaren rund 5000 Euro Schmerzensgeld von Bertelsmann. Für den Verlag bot Rainer Dresen, Justiziar von Bertelsmann/Random House, als Vergleich das Doppelte der marktüblichen Lizenzgebühr für das plagiatsverdächtige Textvolumen an: 1200 Euro seien “unser aktuelles und nicht mehr zu erhöhendes Angebot”. Dies erscheint dem Plagiierten jedoch als nicht hinreichend. Seine Chancen auf eine hohe Entschädigung stehen vor deutschen Gerichten zwar nicht allzu gut, doch kann ein Rechtsstreit immerhin Publicity für sein vom kleinen Transkript-Verlag weit weniger erfolgreich verkauftes Buch “Die Berater: Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft” generieren.

Besonders ärgert Rügemer auch der von Dresen geäußerte Vorwurf, die inkriminierten Rechercheergebnisse seien bloß aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen worden und entbehrten jeglicher Originalität. Dass dafür detektivische Recherchen bis hin zu lokalen US-Blättern am Firmensitz von Enron nötig waren, leugnet diese Bewertung. Leif führt Rügemers Konkurrenzbuch zu seinem Bestseller zwar am Ende in der Literaturliste auf, allerdings ohne in seiner 400-Seiten-Abhandlung ein einziges Mal darauf zu verweisen – so als würde es keinerlei Informationen von selbstständigem Wert enthalten.

Veröffentlichungen anderer Autoren werden vom Verlag Bertelsmann und vom „unabhängigen Autor“ Thomas Leif als freie Verfügungsmasse angesehen. Man schreibt heimlich ab, mit falschen Quellenangaben täuscht man Korrektheit vor. Man gibt das Abschreiben erst dann zu und bietet erst dann Honorare an, wenn man erwischt wird. Und dann wird man auch noch frech und beleidigt diejenigen, bei denen man abgeschöpft hat.

Da ich nur zufällig auf das Plagiat aufmerksam wurde und da Leif/Bertelsmann ihre Arbeitsweise so nachdrücklich als rechtmäßig und normal verteidigen, liegt auch die Frage nahe: Wieviel Plagiate, pardon „technische Versehen“ dieser Art stecken noch in dem Buch „Beraten und verkauft“? Wieviele stecken möglicherweise in weiteren Büchern des Verlages C. Bertelsmann? Ich habe den diffamierenden Vergleichsvorschlag nicht angenommen. Ich klage nun auf Verletzung des Urheberrechts.

Werner Rügemer am 19.11.2006

Blinder Fleck: die Bertelsmann-Hartz IV Connection

Droht die Rolle von Bertelsmann als führendem Politikberater (vgl. "Ohne Bertelsmann geht nichts mehr") bei diesem Streit vernebelt zu werden? Besonders deutlich wird die Vermeidung des Themas Bertelsmann in Leifs Buch beim Kapitel zu den Hartz-Reformen, die heute von allen Seiten als soziales wie finanzielles Desaster betrachtet werden. Die Blaupausen zu Hartz I-IV wurden unter der Ägide der Bertelsmann-Stiftung entwickelt, um die sozialpolitischen Vorstellungen von Medienmogul und Stiftungspatron Reinhard Mohn in die Tat umzusetzen. Ab Mitte der 90er Jahre aufgebaute Kontakte der Stiftung zu SPD, Gewerkschaften und den Grünen erleichterten die Politikberatung der Regierung von Gerhard Schröder, den nicht zuletzt Sender und Blätter wie “Stern”, “Spiegel” oder RTL, die Bertelsmann gehören oder an denen der Konzern Anteile hält, zum medialen Genius stilisiert hatten.

Ab dem Jahr 2000 ließen die Gütersloher Studien zur angeblichen Notwendigkeit der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe (Hartz IV) publizieren; 2003 beglückte Gütersloh die Politik mit dem Grundkonzept für die Job-Center (Hartz III); die Idee der Personal-Service-Agenturen (Hartz I) erarbeitete Bertelsmann gemeinsam mit McKinsey und der Bundesanstalt für Arbeit (BA).

Die BA als “Consulter-Paradies” wird von Leif ausführlich dargestellt, wobei jedoch die Verbindungen zu Bertelsmann nicht erwähnt werden. “In keinem Buch können alle Themen der Welt abgehandelt werden”, verteidigte sich Leif gegenüber dem taz-Autor Holland-Letz. Stattdessen schreibt Leif ausgiebig über den sicher verdienstvollen BA-Dissidenten Erwin Bixler, der BA-Mogeleien mit Vermittlungszahlen ans Licht brachte, und das Phänomen der Whistleblower im Allgemeinen. Bei den Hartz-Reformen wird nur ihre Umsetzung durch die rotgrüne Regierung mittels der Beraterfirmen McKinsey und Roland Berger beleuchtet, die freilich dubios genug erscheint, bis schließlich die Frage nach der Verantwortung vertieft wird:

Anfang Februar 2006 räumte das Bundeskabinett sogar selbst den Misserfolg der Hartz-Gesetze ein. Die Verantwortung der Berater wird (...) jedoch nicht markiert. Diese selbstkritische Rolle übernimmt deshalb im folgenden Interview ein Insider aus der Berater-Szene, der allerdings ungenannt bleiben möchte.

Leif 2006, S.378

Auf den folgenden langatmigen 16 Seiten findet sich leider wenig Kritisches zum Hartz-Desaster, vielmehr meint der anonyme Informant: “Es waren schon die beiden besten Beratungsfirmen bei der BA” (Bundesagentur für Arbeit). Das Management von McKinsey und Roland Berger sei “gut besetzt und auch gut gesteuert” worden (S.381). Der Leser muss sich dann weitere neun Seiten durch langweilige Berater-Plattitüden kämpfen, um endlich mehr über den Hartz-Skandal zu erfahren. Leifs Informant kritisiert:

Man muss übrigens darauf achten – da sind die McKinseys noch opportunistischer als andere-, dass es in der Kleidungswahl im Verhältnis zum Kunden keine zu große Diskrepanz gibt. McKinseys beispielsweise gingen – was sie sonst nie tun - in Jacketts und der berühmten grauen Hose in die Meetings bei der BA. Das war ein Versuch, sich anzupassen an das Kundenumfeld – fast ein bisschen kitschig. Aber weder muss das Hemd besonders große Klasse sein, noch der Schlips schon vom Aussehen her aus der Kategorie achtzig Euro aufwärts sein.

Leif 2006, S.390

Soweit also die knallhart investigativ ans Licht gebrachte Modekritik der bei Umsetzung der Hartz-Konzepte getragenen Oberbekleidung. Wie Leif schon sagte, in keinem Buch können alle Themen der Welt abgehandelt werden, und so musste an dieser Stelle Bertelsmanns heimliche Urheberschaft der unter dem Namen Hartz umgesetzten “Reformen” im Dunkeln bleiben. Alle Fragen nach den Verantwortlichen für das Sozialdesaster werden so von den Güterslohern ab- und auf die Politik nebst ihren Unternehmensberatern hin gelenkt. Reinhard Mohn wird’s danken.