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Boykottwelle in den USA Studenten meutern gegen "Killer-Coke"

Die Revolte kehrt zurück auf den US-Campus. Im Visier haben Studenten ein uramerikanisches Symbol: Brausegigant Coca-Cola. Schon zehn Unis legten Millionenverträge auf Eis. Die Vorwürfe wiegen schwer - Umweltschäden in Indien, Ausbeutung in Kolumbien bis zur Verstrickung in Morde.
Von Kirsten Grieshaber

New York - Als die 54.000 Studenten der University of Michigan diese Woche vom Weihnachtsurlaub an ihre Uni zurückkamen, fanden sie die Cola-Automaten leer vor. Seit Beginn des Jahres verbietet die Hochschule den Verkauf sämtlicher Coca-Cola-Getränke auf dem Campus. Sie wirft dem internationalen Getränkekonzern Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien und Umweltverschmutzungen in Indien vor.

Damit ist sie nicht allein: Die University of Michigan ist bereits die zehnte US-Uni, die sich dem Druck von Studentengruppen und Aktivisten gebeugt und millionenschwere Verträge mit Coca-Cola auf Eis gelegt hat. Bereits vor zwei Wochen hatte die New York University - die größte Privatuni der USA - erklärt, so lange keine Coca-Cola mehr zu verkaufen, bis das Soft-Drink-Unternehmen sich bereit erklärt, den gravierenden Anschuldigungen nachzugehen. Auch auf dem Campus der Rutgers University in New Jersey und der Santa Clara University in Kalifornien sowie an Hochschulen in Kanada, Großbritannien, Irland und Italien bleiben neuerdings die Coke-Zapfhähne trocken.

Erstmals seit den Studentenunruhen der frühen siebziger Jahre haben sich Protestgruppen an Universitäten aus allen Teilen der USA zu einem solch durchschlagenden Boykott zusammengefunden. Sie bezichtigen den Getränkekonzern, für Pestizidverseuchungen und sinkende Grundwasserspiegel in mehreren Regionen Indiens verantwortlich zu sein, sowie für extreme Trockenheit und Not der dortigen Dorfbevölkerung. Außerdem behaupten sie, Coca-Cola sei an der Ermordung von sieben Gewerkschaftsführern in Kolumbien beteiligt gewesen und habe Dumping-Löhne in Abfüllanlagen eingeführt. "Murder - It's the real thing" lautet der bissige Slogan ihrer Kampagne gegen "Killer-Coke", in Anlehnung an die Werbung für die braune Brause. Die Protest-Aktivisten berufen sich auf Berichte verschiedener Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen, darunter "Corporate Accountability International", das India Resource Center", die Wohlfahrtsorganisation "ActionAid" und Greenpeace.

Der Konzern hat ein Imageproblem

Eine Sprecherin von Coca-Cola bezeichnete die Vorwürfe der Studenten als falsch. "Die Anschuldigungen gegen unsere kolumbianischen Betriebe in Hinblick auf Arbeiterrechte sind nicht wahr", sagte Kari Bjorhus zu SPIEGEL ONLINE. "Der Abfüller war nicht daran beteiligt, die Löhne der Arbeiter illegalerweise und systematisch zu senken." Auch die Vorwürfe zur Umweltverschmutzung in Indien wies das Unternehmen zurück. "Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass unsere Produktion Umweltschäden verursacht hat", erklärte Bjorhus.

Auf die Boykott-Ankündigung der University of Michigan reagierte Coca-Cola trotz aller Unschuldsbeteuerungen mit Besorgnis. "Die Entscheidung ist sehr bedauerlich. Der eigentliche Umsatzverlust ist gering, das größere Problem ist unser Ansehen", erklärte Bjorhus letzte Woche in einer Stellungnahme.

Das sind wahre Worte: Selbst wenn Hunderttausende von Konsumenten Coca-Cola, Cola Light, Sprite, Dasani-Wasser und andere Getränke der Firma meiden, halten sich die kommerziellen Einbußen des Getränkegiganten in Grenzen. Der Imageschaden jedoch ist irreparabel.

Coca-Cola ist der bekannteste Markenartikel der Welt. Der geschwungene weiße Schriftzug auf knallrotem Grund steht nicht nur für das international beliebteste Erfrischungsgetränk. Coca-Cola symbolisiert ein unbeschwertes Lebensgefühl, die Überlegenheit der westlichen Konsumkultur, Freiheit, Genuss und Jugendlichkeit. Mehr noch: Coca-Cola symbolisiert Amerika. Und wenn die Jugend Amerikas sich gegen ihren eigenen Lieblingstrunk, gegen das klassischste aller US-Produkte wendet, dann schrillen in der Konzernzentrale in Atlanta zu Recht die Alarmglocken.

"Welt von Coca-Cola ist eine Welt voller Lügen"

Dabei sind die harten Vorwürfe gegen den Global Player schon seit längerem bekannt. So reichte eine Studentengruppe der University of Michigan bereits im November 2004 eine offizielle Beschwerde bei der Univerwaltung ein und verlangte, dass die Hochschule ihren 1,4 Millionen Dollar schweren Vertrag mit Coca-Cola auflösen müsse.

Der Watchdog-Organisation "Corporate Accountability International" zufolge wurden zwischen 1989 und 2002 sieben führende Mitglieder der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal im Zuge von Protestaktionen gegen Coca-Cola-Abfüllanlagen in Carepa, Bucaramanga und anderen Orten Kolumbiens umgebracht - von Todesschwadronen der rechten Paramilitärs. Das Unternehmen habe die übrigen Gewerkschaftsmitglieder zum Austritt gezwungen, anschließend ihre Monatsgehälter von 380 Dollar auf 130 Dollar gekürzt, den Kündigungsschutz aufgehoben und ihre Krankenversicherungen gestrichen, sagt Ray Rogers, Direktor der Arbeiterrechtsorganisation "Campain to Stop Killer Coke".

Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE verurteilt der New Yorker Menschenrechtler den Konzern aufs Schärfste und behauptet, dass Coca-Cola indirekt als Auftraggeber in die Morde in Kolumbien verwickelt sei. Er verlangt, dass die Familien der Opfer eine Kompensation von Coca-Cola erhalten und dass das Unternehmen die Rechte der Arbeiter künftig respektieren müsse. "Die Welt von Coca-Cola ist eine Welt voller Lügen, Betrug, Korruption und weit verbreiteter Menschenrechts- und Umweltschutzverletzungen", erklärt Rogers.

Zum Vorwurf der Verstrickung in Morde an Gewerkschaftern äußert sich der Konzern auch auf Anfrage nicht im Detail. Sprecherin Bjorhus betont aber, zwei Ermittlungsverfahren in Kolumbien hätten keine Hinweise auf eine "Mitschuld des Abfüller-Managements an Gewalt gegen Gewerkschaftsführer" ergeben. Es gebe auch keine Einschüchterungen von Gewerkschaftsmitgliedern; im Gegenteil biete die kolumbianische Partnerfirma ihnen im Falle von Drohungen sogar routinemäßig Sicherheitsmaßnahmen an. Im übrigen habe Coca-Cola eine lange Geschichte des Schutzes von Arbeitnehmerrechten.

Die Firma bekennt sich nicht schuldig

Ray Rogers dagegen behauptet, das Unternehmen beute im Namen des Profits Arbeiter aus und zerstöre ihre Lebensgrundlagen - wie etwa durch Umweltverschmutzungen in Indien. Dabei stützt er sich unter anderem auf das globalisierungskritische "India Resource Center" und auf Berichte internationaler Medien, darunter die britische Zeitung "Guardian" und die BBC. Ein seit vielen Monaten andauernde Massenprotest in Indien zeigt, wie essentiell sich die Menschen von Coca-Cola bedroht fühlen. Seit März 2004 haben Dorfbewohner eine Fabrik im südindischen Plachimada stillgelegt. Im nordindischen Staat Rajastan kam es nach Demonstrationen zu Ausschreitungen und Festnahmen rund um die örtliche Coca-Cola-Produktionsstätte in Kala Dera.

Nach Angaben des "India Resource Center" bedroht der rapide sinkende Wasserspiegel über 50 Dörfer in der Umgebung von Kala Dera. Die Bauern klagen, dass der Getränkekonzern sie ihrer natürlichen Wasserressourcen beraubt, das noch vorhandene Grundwasser verschmutzt und den Boden mit Pestiziden verseucht habe. "India Resource" beschuldigt den Konzern außerdem, in Indien durch Pestizide belastete Getränke zu verkaufen. Und bereits im Juli 2003 berichtete die britische BBC, Coca-Cola habe Bauern mit Abfallprodukten aus einer Abfüllanlage als Düngemittel beliefert, die giftige Chemikalien wie Cadmium und Blei enthalten hätten.

"Coca-Cola in Indien ist das perfekte Beispiel dafür, was schiefgeht, wenn Institutionen wie die Welthandelsorganisation den Unternehmen immer mehr Zugeständnisse machen", erklärt Amit Srivastava vom "India Resource Center". "Es ist wichtig, dass wir Coca-Cola zur Rechenschaft ziehen, damit ihnen bewusst wird, dass die Rechte der Menschen und der Umweltschutz unveräußerlich sind."

Coca-Cola indes streitet jede Verantwortung für Umweltschäden in Indien ab. "Unsere Abläufe halten die weltweiten Umweltstandards des Unternehmens ein und entsprechen allen gesetzlich festgelegten Anforderungen der lokalen Behörden", so Sprecherin Kari Bjorhus. Beispielsweise habe das Werk in Kala Dera Regenwasser-Auffanganlagen installiert und liefere damit dreimal so viel Wasser, wie der Betrieb verbrauche.

Wenn man den amerikanischen Studenten glauben kann, ist der Cola-Boykott auf dem Campus erst der Beginn einer rapide anschwellenden Protestbewegung gegen den Getränkekonzern. "Unsere Kampagne ist noch längst nicht vorbei", erklärt Clara Hardie, eine der Hauptorganisatorinnen des Boykotts an der University of Michigan. "Wir werden weiter kämpfen und dafür sorgen, dass sich unsere Universität auch in Zukunft in die richtige Richtung bewegt." Die Boykottwelle hat auch die ersten Unis in Europa bereits erfasst: Globalisierung von unten eben.

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