Kooperation? Konkurrenz!

WTO, Weltbank und die Weltwirtschaft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

EU-Handelskommissar Peter Mandelson hatte sich gefreut: Während der Verhandlungen der Welthandelsorganisation in Hongkong (WTO-Watch fürs deutsche Publikum) erhielt er zahlreiche Weihnachtspäckchen. Auch er und sein US-Kollege kamen nicht mit leeren Händen nach Hongkong. Sie hatten eine "Entwicklungspaket" für die ärmsten Länder der Welt geschnürt. Doch beim Öffnen der Weihnachtspäckchen musste Mandelson feststellen: Sie waren leer. Genauso leer wie die Versprechungen seines Entwicklungspaketes, so die Globalisierungskritiker, die ihm die Weihnachtspakete überreicht hatten.

Das längst überfällige Ende der Subventionen für Agrarexporte in der EU und den USA konnten die Entwicklungs- und Schwellenländer in der Welthandelsorganisation nur mit äußerster Mühe durchsetzen und weil sie an einem Strang gezogen haben. Dafür mussten sie weiteren Liberalisierungen im Dienstleistungs- und Industriesektor zustimmen. Dieser Kuhhandel stellt nach Ansicht von Kritikern die Weichen für zugespitztes Sozialdumping und Umweltverschmutzung im globalen Maßstab.

Locken mit einer Win-Win-Strategie

Wenn alle Länder zu gleichen Bedingungen die Waren dieser Welt handeln könnten, dann würde es allen besser gehen. Rechtzeitig vor Beginn des Treffens der Welthandelsorganisation WTO in Hongkong sekundierte die Weltbank ihrer Schwesterorganisation mit einer Studie. Den zusätzlichen Gewinn bei einer völligen Liberalisierung des Welthandels bezifferte sie auf mehr als 250 Milliarden Euro. Mit dem weltweiten Freihandel, so die Weltbank-Experten, könnten unzählige neue Arbeitsplätze geschaffen und die Armut in der Welt reduziert werden. Dieses Glaubensbekenntnis hat sich tief in die Hirne der Multiplikatoren der westlichen Welt eingegraben, bei Medien und Politikern. Eine "Win-Win-Situation", so der Slogan der Global Player, eine Situation, in der alle nur gewinnen können, ein ebenes Spielfeld, bei dem alle von den gleichen Voraussetzungen ausgehen.

Mit dieser Rhetorik von der schönen neuen Welt lockte man die Entwicklungsländer 1995 in die neu gegründete WTO und versprach ihnen demokratische Entscheidungsstrukturen. Mit der Devise "Ein Land, eine Stimme" sollte ihnen suggeriert werden, dass sie tatsächlich ein Mitspracherecht hätten – anders als bei der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds, wo sich die Stimmverteilung strikt an den gezahlten Einlagen der Mitgliedsstaaten orientiert.

Doch es kam anders: Das Regelwerk der WTO und deren Entscheidungsfindung wurde derart kompliziert gebaut, dass sie nur mit riesigen Expertentrossen beherrschbar ist. Über solche Expertentrosse verfügen aber nur die reichen Länder, besonders die EU und die USA; die wenigen Vertreter der Entwicklungsländer haben gegen sie keine Chance. Schon deshalb setzen sich die Handelsinteressen der westlichen Industrieländer in der WTO durch: EU und USA erheben weiterhin Schutzzölle auf viele Agrarprodukte und Rohstoffe, die Exportprodukte der Entwicklungsländer. Die Entwicklungsländer hingegen werden gezwungen, ihre Märkte für Importe und Investitionen aus dem Westen immer weiter zu öffnen. Die Folge: Der Einkommensunterschied zwischen den ärmsten zehn Prozent der Weltbevölkerung und den reichsten hat sich seit Bestehen der WTO vervielfacht. Heute haben die 500 reichsten Individuen zusammen ein höheres Einkommen als die 440 Millionen Ärmsten der Welt.

Dar Es Salaam als Beispiel

Dort, wo die WTO allein nicht weiterkommt, helfen der Internationale Währungsfonds und die Weltbank nach. Zum Beispiel in der tansanischen Hauptstadt Dar Es Salaam. Dort knüpfte der Internationale Währungsfonds Bedingungen an einen partiellen Schuldenerlass: Und verlangte unter anderem den Verkauf der Wasserversorgung der Millionenmetropole an private Investoren. Die Global Player im Wassergeschäft standen Schlange. Sie wollten sich dieses lukrative Geschäft mit dem blauen Gold nicht entgehen lassen. Ein britisch-deutsches Joint-Venture erhielt den Zuschlag und macht nun Gewinne.

Die Bevölkerung in Dar Es Salaam, die es bis dato gewohnt war, dass Wasser allen gehört, ist nun um eine Erfahrung reicher: Die Wasserpreise sind in die Höhe geschnellt und wer nicht zahlt, bekommt kein Wasser mehr. Eine „win-win-Situation“ für WTO und Währungsfonds: Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen im Interesse der Global Player ist erzwungen und die Kreditgeber sacken den Verkaufspreis ein, weil ihr Schuldner wieder zahlungsfähig ist.

Ungerechte internationale Arbeitsteilung

Als Brecheisen für Privatisierung und Freihandel wirkte auch die Asien-Krise Ende der 90er. Der IWF hatte die Öffnung des Marktes für die Agrar-, Banken- und Versicherungsbranche verlangt und so den Global Players den lang ersehnten Zugang zu den Ökonomien Südostasiens verschafft, bevor er den zahlungsunfähigen Staaten neue Kredite einräumte. Die betreffenden Länder unterzeichneten vor der Überweisung ein entsprechendes „Liberalisierungs-Abkommen“ im Rahmen der WTO.

Nach so viel einseitiger Vorteilsnahme scheiterte schließlich der Verhandlungsgipfel der WTO in Seattle 1999. Vor allem die Vertreter der afrikanischen Staaten weigerten sich, weitere Zugeständnisse gegenüber den westlichen Industrieländern zu machen. Daraufhin kamen die Lenker der WTO auf die Idee, ihre Politik zu einer sogenannten Entwicklungsrunde umzutaufen.

Aber diese Kosmetik kann nicht über ihre weiterhin gültigen Prioritäten hinwegtäuschen: Die Exportwirtschaft forcieren, die Verschuldung der meisten Entwicklungsländer verewigen. Damit zementieren sie die ungerechte internationale Arbeitsteilung: Der Süden produziert weiterhin für den Norden, weil er für Zinsen und Abzahlung der Schulden Devisen braucht. Dafür stellen die Länder des Südens mehr und mehr Ressourcen zur Verfügung. Damit reproduzieren sie das Elend ihrer eigenen Bevölkerung, für die gleichzeitig immer weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. Das gilt im Übrigen auch für die erfolgversprechenden Ökonomien Indiens und Chinas. Die größten Profiteure sind auch hier wieder die transnationalen Konzerne, die dort die komparativen Kostenvorteile nutzen: Niedrige Löhne, keine Sozialabgaben und fehlende Umweltschutzbestimmungen. Zwischen 1993 und 2003 entfielen allein in China 65 Prozent des Exportzuwachses auf die Niederlassungen westlicher Konzerne.

Die Stimmen des Südens zählen nicht in der globalisierten Welt der WTO. Der ägyptische Entwicklungstheoretiker Samir Amin nennt die aktuelle Weltwirtschaftsordnung ein, Zitat, "System globaler Tributzahlungen". Die direkte Ausplünderung des Südens während der Kolonialzeit ist heute durch die indirekte Ausplünderung der Dritten Welt unter EU und US-Regie abgelöst worden. In vielen Ländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas nennen kritische Wissenschaftler das Kind beim Namen. Es heißt Neo-Kolonialismus.

So lange das Weltwirtschaftssystem auf dem Prinzip der Konkurrenz und nicht auf dem der Kooperation fußt, haben diese Länder nur eine Möglichkeit, wenigstens das Überleben ihrer Bevölkerung zu sichern: Indem sie ihre Märkte abschotten vor der Dumping-Konkurrenz aus dem Norden und gemeinsam ein einseitiges Schuldenmoratorium verhängen.

Aber das ist bei der WTO nicht vorgesehen: Einmal abgebaute Zölle dürfen nicht wieder erhöht werden. Das ist ein Grundprinzip der WTO. Deshalb werden die Stimmen lauter, die die Auflösung der WTO fordern. Und diese - vor allem zivilgesellschaftliche Stimmen - verweisen auch darauf, dass die heute mächtigen Nationen ihre Wirtschaftsmacht vor langer Zeit ebenfalls mit einer gehörigen Portion Protektionismus aufgebaut haben. Aber diese Leiter, die die mächtigen Nationen einst selbst erklommen, wollen sie mit Hilfe der WTO ein für allemal wegtreten.