Alles in Ordnung?

Für Innenminister Schäuble ist gegen Verschleppung und Folter nicht unbedingt etwas einzuwenden, wenn es der Sicherheit dient, Joschka Fischer und die Grünen ziehen vor, sich bedeckt zu halten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Innenminister Schäuble überraschte zumindest mit einer bislang für die alte und neue Regierung unbekannten Offenheit (Früchte der Folter). Erstmals gab ein Regierungsvertreter zu, was allerdings schon länger bekannt war, nämlich dass deutsche Sicherheitsbeamte den Deutsch-Syrer Mohammed Sammar 2002 in dem berüchtigten Far-Filastin-Gefängnis in Syrien und den Bremer Murat Kurnaz in Guantanamo besucht hatten. Beide sind noch immer in Haft, ohne dass ihnen je ein Prozess gemacht oder sie angeklagt wurden, zumindest Sammar wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit gefoltert.

Schäuble präsentierte gleichzeitig eine sehr formelles Verständnis von Recht. Ihm sei nichts davon bekannt, dass Sammar etwa in Syrien gefoltert worden sein könne, da nichts in den Akten stehe. In denen stand vermutlich auch, dass die BKA-Beamten sich "korrekt" verhalten hätten. So steckt man natürlich den Kopf in den Sand. Schäuble versicherte, man habe damals mit Syrien kooperiert. Später aber ist der neue Innenminister deutlicher geworden und hat gegenüber der Stuttgarter Zeitung sowohl das Vorgehen der CIA, Sammar aus Marokko nach Syrien zu verschleppen und dort zu foltern, als auch die Duldung der alten Bundesregierung verteidigt und die eigne Haltung klar gemacht:

"Wenn wir sagen würden, Informationen, bei denen wir nicht sicher sein können, dass sie unter vollkommen rechtsstaatlichen Bedingungen zu erlangen waren, nutzen wir unter keinen Umständen - das wäre völlig unverantwortlich. Wir müssen solche Informationen nutzen.

Wenn man sich also nicht selbst die Hände schmutzig macht, sondern das Geschäft outsourcen kann, wie dies eben die CIA auch teilweise gemacht hat, dann sei dies schon in Ordnung. Es sei zwar nach deutschem Recht nicht statthaft, schwadronierte der Innenminister weiter, dass sich deutsche Sicherheitsbeamte direkt an Folter beteiligen, sie dürften "auch nicht sozusagen augenzwinkernd erwarten, dass gefoltert wird". Das allerdings wäre eigentlich schon der Fall, wenn man einen Gefangenen in einem für Folter berüchtigten Gefängnis in Syrien besucht und verhört. Zudem ist heikel, dass ihn auch BKA-Beamte und nicht nur Geheimdienstangehörige besucht haben. BKA-Beamte könnten auch vor einem öffentlichen Untersuchungsausschuss zitiert werden, zudem wären sie verpflichtet, Hinweise auf Folter zu melden. Aber natürlich muss man nichts gesehen haben, da die Syrer ja ihren Gefangenen offenbar adrett angezogen und hergerichtet präsentiert haben. Allerdings gibt es Berichte von Mithäftlingen, die behaupten, Sammar schreien gehört zu haben. Schäuble ist die heikle Situation klar, schließlich forderte er in diesem Zusammenhang die genauere Aufgabentrennung von BKA und Geheimdienst. Das heißt aber wohl nur, dass in ähnlichen heiklen Fällen der Geheimdienst beauftragt werden wird.

Schäuble ebnet den Weg in den rechtlichen Ausnahmezustand

Schäuble stimmt aber nicht nur der delegierten Folterung zu, er scheint auch der Meinung zu sein, dass Verschleppung und monate- oder jahrelang Inhaftierung ohne Einhaltung des Rechtsweges, also ohne Anklage, Prozess und Rechtsbeistand, ganz okay und überdies hilfreich sind:

Ein paar Monate Haft haben schon manchen bewegt auszupacken, damit arbeitet die deutsche Strafverfolgung doch auch.

Und gegenüber der Süddeutschen Zeitung rechtfertigte Schäuble auch noch harte Haftbedingungen in Syrien:

Da können Sie auch Maier, da müssen Sie nicht Zammar heißen. Dann werden Sie auch nicht im Hotelzimmer mit Whirlpool untergebracht.

Zwar hatte Sammar gesagt, er sei geschlagen worden und werde unter unmenschlichen Haftbedingungen gehalten. Aber auch das ist für Schäuble, ganz munter in der Vorwärtsverteidigung, kein Problem, während der große Bruder, an den er ebenso wie sein Vorgänger Schily Anlehnung sucht, diese Geschichte am liebsten hinter sich lassen würde. So habe er "wohl gesagt, er sei geschlagen worden - aber nicht in Syrien, sondern im Libanon oder irgendwo sonst". Das betrifft dann das BKA nicht, und auch nicht die deutsche Regierung. Ist doch alles in Ordnung, oder?

So eröffnet man eben jene Grauzone, die auch die Bush-Regierung im Kampf gegen den Terrorismus als rechtlicher Ausnahmezustand für sich in Anspruch nehmen wollte. Schäuble versucht zudem, auch welchen Gründen auch immer, das Verhalten der Bundesregierung und damit auch die stillschweigende Kooperation mit der US-Regierung beim extralegalen Vorgehen gegen Verdächtige und beim Aufbau einer Zone der Rechtlosigkeit zu decken. Im Feuer steht nicht nur die Justizministerin Zypries, sondern vor allem der ehemalige Innenminister Schily und auch der ehemalige Außenminister Fischer, der bislang am eifrigsten zu allem schweigt.

Die Anwältin von Sammar, Gül Pinar, hat nicht nur auf die Scheinheiligkeit von Schäuble hingewiesen, bei der Frage, ob Sammar gefoltert wurde, sich auf die Einträge in Akten zu kaprizieren. Sie erhob vor allem auch Vorwürfe gegen das Auswärtige Amt. Das habe ihr seit Jahren stets mitgeteilt, es wisse nicht, wo sich Sammar genau befinde. Die syrischen Behörden würden Anfragen nicht beantworten und darauf bestehen, dass Sammar, trotz seiner doppelten Staatsbürgerschaft, Syrier sei. Ende 2004 antwortete etwa das Auswärtige Amit, man wisse nichts Neues über Sammar, eine Zugang würde von syrischen Behörden nicht gewährt. Und im April 2005 kam eine ähnliche Antwort vom AA.

Danach hätte das Auswärtige Amt nichts von dem dreitägigen Besuch der BKA-Beamten gewusst. Aber vielleicht wurde der Anwältin dies auch nur verschwiegen. Das meint zumindest Pinar, die davon ausgeht, dass das Auswärtige Amt wohl über den Besuch informiert worden sein müsse, zumal bei einem deutschen Staatsbürger, der womöglich in die Vorbereitung der Anschläge vom 11.9. verwickelt sein könnte. Fischer könnte hier für Aufklärung sorgen, aber offenbar liegt ihm nichts daran oder es ist ihm zu heikel. Um so wichtiger wäre es, dass die Grünen einen Untersuchungsausschuss fordern, um die Umstände aufzuklären.

Nach der Menschenrechtsorganisation Amnesty wird Sammar unter "unmenschlichen, entwürdigenden und grausamen" Bedingungen festgehalten. Damit verletzte nicht nur Syrien, sondern auch Deutschland das Antifolterabkommen und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Sammar sei nicht nur deutscher Staatsbürger, Deutschland dürfe auch dessen unter Folter erpresste Aussagen nicht gegen ihn verwenden, und müsse darauf dringen, dass auch Syrien dies nicht macht.

Wie auch immer, offenbar ist man in der neuen Regierung bereit, das von der alten Regierung angerichtete Schlamassel mit zu tragen. Daran zeigt sich mittlerweile vielleicht am deutlichsten, dass die große Koalition kein neuer Anfang ist, sondern ein Blockadeinstrument. Immerhin aber haben die Winkelzüge der alten und neuen Regierungsmitglieder demonstriert, dass Gut und Böse nicht einfach und klar transatlantisch oder kulturell verteilt sind. Es herrscht Realpolitik, d.h. Interessenpolitik. Das hat die rot-grüne Regierung trotz ihres Ausscherens auf der Koalition der Willigen auch in Sachen Menschenrecht und Rechtsstaatlichkeit belegt. Und sie hat belegt, dass wohl auch dann, wenn Deutsche nicht so richtig Deutsche sind wie Masri, Sammar und Kurnaz, es rechtlich auch nicht so genau zugehen muss, also dass es Menschen verschiedenen Werts gibt. Mit den Problemen, die es jetzt gibt, hat man wohl nicht gerechnet, also dass Öffentlichkeit und Medien irgendwie, zumindest kurzzeitig, für Recht und Moral, für den Rechtsstaat, eintreten. Aber das wird vorüber gehen. Darauf können Schily, Fischer, Zypries, Steinmeier, Schäuble und Merkel bauen.