Genfer Polizeidirektorin verantwortlich für Sachschäden & Gewalt

PigBrother 15.06.2003 02:00 Themen: G8 Globalisierung Repression
In einer Sitzung des des Grossen Rates hat Micheline Spoerri offiziell zugegeben, dass es der Polizei untersagt war, gegen die Verursacher der Sachbeschädigungen während des G8 am frühen Sonntagmorgen in der Genfer Innenstadt vorzugehen. Der Grund: Hätte es keine Krawalle gegeben, hätte die Stadt Genf die auswärtigen PolizeibeamtInnen aus eigener Tasche bezahlen müssen. Die Polizei, aufgebracht durch Vorwürfe in den Medien, die Sachschäden zugelassen zu haben, hatte bekanntlich darauf u.a. mit Schockgranaten deutlich überreagiert.
EINSATZBEFEHL: "UNBEHELLIGT SCHAUFENSTER EINSCHLAGEN LASSEN"

Nun ists offiziell: Die zunächst laut Spoerri zunächst nur mit 16 Mann in der Innenstadt vertretene "überforderte" Polizei durfte gemäss Einsatzbefehl auch dann noch nicht gegen Sachbeschädiger vorgehen, nachdem längst eine Verstärkung mit weiteren 120 Mann engetroffen war. (Der Genfer Polizeikommandant hatte sich bekanntlich zuvor noch mit dem Märchen herauszureden versucht, seine Mannen seien durch die Kritik an den Polizeiübergiffen vom 29.3.03 im Bahnhof Genf-Cornavin "gehemmt gewesen", von ihren Einsatzmitteln gebrauch zu machen, siehe Kommentar "Traumatisierte" Genfer Polizei + mehr Lügen:  http://de.indymedia.org/2003/06/54092.shtml .) In der Folge beklagten sich auch Genfer Richter, ihnen seien mit den (inzwischen wieder freigelassenen Verhafteten) vom G8 "nur kleine Fische" zugeführt worden.


FINANZIELLE HINTERGRÜNDE

Was zunächst unglaublich klingen mag, hat letztlich handfeste finanzielle Hintergründe: Genf hatte lange mit der Berner Bundesregierung um zusätzliche Polizeikräfte gestritten (und dabei dauernd Schreckensszenarien eines von 200'000 "ausländischen Chaoten" überranten "brennenden Genfs" heraufbeschworen). Auch als über 700 Beamte aus der übrigen Schweiz zugesprochen wurden, gab Spoerri noch nicht locker: 1000 zusätzliche deutsche BeamtInnen müssten her, damit Genf nicht im Chaos versinke. Schliesslich gab die Bundesregierung nach. Es wurde jedoch vereinbart, dass Genf die zusätzlichen BeamtInnen (alleine die deutsche Verstärkung kostet 4 Millionen Franken) aus eigener Tasche bezahlen müsse, falls sich ihre Anwesenheit nicht nachträglich rechtfertigen lasse.

Ein Fakt, der mittlerweile auch in den schweizer Medien aus naheliegenden Gründen schlicht nicht mehr erwähnt wird: Schliesslich könnte sich sonst jedeR, der/die 1+1 zusammenzählen kann, selber ausrechenen, weshalb es unter diesen Umständen wohl einfach zu Ausschreitungen mit Sachschäden "kommen musste". (Die Sachschäden, welche die Stadt allenfalls mitzutragen hat, sind immer noch weit kleiner als der Betrag, der ohne Sachschäden für die auswärtigen PolizistInnen hätte bezahlt werden müssen.)

So ist es auch höchst zweifelhaft, dass die nun einberufene "Ausserparlamentarische Untersuchungskommission" irgend etwas zu Tage fördern wird, was ihrer Auftraggeberin, der Stadt Genf, zu einem finanziellen Nachteil gereichen würde.


BEAMTINNENFRUST & POLIZEIGEWALT

Nebeneffekt dieses "Kuhhandels": Betroffene Geschäftsleute, die nicht verstehen konnten, wie die Polizei wortwörtlich tatenlos zuschaute, wie ihre Geschäfte zerstört wurden, hatten sich in den lokalen Medien lautstark über die Tatenlosigkeit der Polizei beschwert, was -- im Gegensatz zu den deutschschweizer Medien -- zu scharfen Leitartikeln und bissigen Kommentaren führte. (Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass der Einsatzbefehl den betroffenen BeamtInnen verhaften von SachbeschädigerInnen buchstäblich untersagte.) Bei manchen PolizeibeamtInnen scheint dies offensichtlich zu einem nicht unerheblichen Frustpotenzial geführt zu haben, dem einige darauf u.a. mit "Schockgranaten" Luft verschafften -- mit den bekannten Folgen. Dass Spoerri dazu ausführt, auch bei der Demo am Sonntag (an der u.a. der Medienschaffende Guy Smallman gezielt mit "Schockgranaten" gejagt und verletzt wurde) "sei wegen den zahlreichen Schaulustigen kein Einsatz gegen gewalttätige Demonstranten möglich gewesen", setzt dieser schier unglaublichen Arroganz der Macht nur noch die Krone auf. Hingegen erklären diese Hintergründe, weshalb auch noch an den darauffolgenden Tagen immer wieder Medienschaffende Opfer von gezielten Übergriffen wurden (vgl. z.B.  http://de.indymedia.org/2003/06/53637.shtml , inbesondere die Bilder "Journalist wird verhaftet, verprügelt und sein Band beschlagnahmt" / "Wunde am Kopf des Journalisten").


PARALLELEN ZU GENUA

- Auch in Genua stellte sich bekanntlich schon die Frage, weshalb eine kleine Gruppe stundenlang unbehelligt Sachbeschädigungen verüben konnte, die nachher seitens der Obrigkeit als Rechtfertigung für später erfolgte Polizeiübergriffe instrumentalisiert wurden.

- Auch in Genua wurde dies (nebst inzwischen geruichtlich bestätigter Vorspiegelung falscher Tatsachen) schon zum Anlass für die Stürmung des IMC mit noch viel massiveren Übergriffen genommen -- auch aus Genf gab es jedoch die bekannten Bilder von Verletzten und zerstörten IMC-Räumen mit Blutflecken am Boden.

- Wetten, dass auch in Genf kein einziger Polizist verurteilt werden wird? Und alle Magistraten Spoerri für ihren gelungenen finanziellen Schachzug applaudieren werden?

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13.6.03 22:10 - Agenturmeldung

Genfer Polizeidirektorin übernimmt Verantwortung für Verwüstungen

GENF - Die Genfer Polizeidirektorin Micheline Spoerri hat vor dem Genfer Grossen Rat die Verantwortung für die eingeschlagenen Schaufenster übernommen. Globalisierungsgegner hatten am Samstagabend vor der G-8-Demonstration von der Polizei unbehelligt gewütet.
Die für den G-8-Gipfel in Genf stationierten Polizeikräfte seien zum grossen Teil an den heiklen Punkten wie dem Flughafen stationierten gewesen, sagte Spoerri vor dem Genfer Kantonsparlament. Für die Sicherung des Stadtzentrums seien nur rund 16 Beamte zur Verfügung gestanden.

Diese wurden rund eine Viertelstunde nach dem ersten Alarm, gegen 23.15 Uhr, durch rund 120 Beamten verstärkt, die sich auf Pikett befanden. Deren Aufgabe bestand vor allem darin, Plünderungen von eingeschlagenen Schaufenstern zu verhindern.

Gemäss Micheline Spoerri sind die Globalisierungsgegner bei ihrer Aktion vom alternativen Kulturzentrum Usine aus gestartet. Dorthin seien sie wieder zurückgekehrt und in der Menge der Usine-Besucher untergetaucht. Eine Polizeiaktion in der Usine wäre wegen den vielen Besuchern zu gefährlich gewesen.

Auch bei der Grossdemo vom Sonntag sei wegen den zahlreichen Schaulustigen kein Einsatz gegen gewalttätige Demonstranten möglich gewesen. Erst am Sonntagabend konnte in der Usine auf Anordnung von Staatsanwalt Daniel Zappelli eine Razzia durchgeführt werden. (sda)

Quelle:  http://tagi.ch/dyn/news/newsticker/106172.html?art=newsticker

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Schweiz 14.6.03 10:01 -- Tages-Anzeiger Online

Untersuchung zu Anti-G-8-Demos

Die Genfer Abgeordneten stimmten am Freitag fast einstimmig für eine Ausserparlamentarische Untersuchungskommission zur Untersuchung der Unruhen am Rande des G- 8-Gipfels.

Die Kommission wurde vom Regierungsrat in Absprache mit dem Grossratsbüro gegründet. Es wird ihre Aufgabe sein, die Handlungen der Regierung, von Justiz und Polizei im Rahmen der Organisation und Durchführung der Anti-G-8-Demonstrationen zu überprüfen.

Die Genfer Polizeidirektorin Micheline Spoerri hatte zuvor vor dem Genfer Grossen Rat die Verantwortung dafür übernommen, dass Globalisierungsgegner am Samstagabend vor der G-8-Demonstration von der Polizei unbehelligt Schaufenster einschlagen konnten.

Quelle:  http://tagi.ch/dyn/news/schweiz/285535.html
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Ergänzungen

interessant

alberto 15.06.2003 - 03:54
unter den umständen wäre es auch kein wunder, wenn diese (durch fotos belegten zivis) ein bißchen nach geholfen hätten.

danke alberto

dankedanke 15.06.2003 - 04:48
Danke für diesen schlauen Kommentar.

Anmerkung

Justus 15.06.2003 - 09:45
Frage: Was soll die Überschirft "Genfer Polizei verantwotlich für...." suggerieren. Das ein militanter Protest heute nicht möglich ist, es sei denn er ist polizeigewollt?

Kurze Anmerkungen. Es gab eine Solidarität in Genf der unterschiedlichen Protestformen untereinander, die ich bisher in der Form noch nicht erlebt habe.

Es wurden nicht Nachbars kleine Läden in unbedeutenden Vorstädten geplündert, die Ausschreitungen spielten sich im Zentrum von Genf ab. Auch in den Außenbezirken wurden Ziele bewusst ausgewählt.

Es stimmt einfach nicht, dass der Black Block völlig unbehelligt gelassen worden ist, wie sich an Bild- und Filmaterial leicht belegen lässt. Auch wer die Nervosität der Polizei in Genf bereits vor der Ankunft der Großdemo mitbekommen hat ´(Wasserwerfer, gezogene Plastikgeschossgewehre auf Passantinen, Vorrücken in Ketten) ist nicht davon zu überzeugen, dass sich die Verantwortlichen nichts sehnlicheres gewünscht haben als Ausschreitungen.

Wer oder was sind die Rädelsführer, die lange Zeit unbehelligt gelassen worden sind? Seit wann gibt es bei den Autonomen Rädelsführer, die für die "Straftaten" verantwortlich gemacht werden könnten. Der schwarze Block ist eine selbstgewählte Aktionsform von AktivistInnen und sollte nicht von uns selbst zu einem Konstrukt der Strafverfolgungsbehörden gemachtwerden, mit Rädeslführer und Mitgliedschaften. Viel demoerfahrerne Autonome nutzen die Gelegenheit zur Flucht, bevor der Kessel im Camp Lausanne (Ort einer Massenfestnahme) völlig zugezogen war. Das war von der Polizei sicherlich nicht gewollt, aber auch kaum zu verhindern.


Eine Anmerkung zu den "Agent Provokateur". Sie werden immer dann eingesetzt, wenn eine Demonstration friedlich verläuft die Polizei aber daran interssiert ist die Demo aufzulösen. Beispiel: Eine unbewilligte Demo gegen die Weltausstellung in Hannover, die friedlich verläuft und gegen die Polizei trodzdem vorgehen möchte. In diesem Fall konnte unterbunden werden, dass ein Zivi eine Bank mit einem Stein einwarf. Diese Aktion war als Startsignal für das Einschreiten der Staatsmacht gedacht.

Rund um den Genfer See bedarf es während des G8 keiner "Brandbeschleuigung" in Form dieser Polizeitaktik. Es ist sinnlos, dass sich auch noch die Polizei an Sachschäden beteiligt. Die vermummten, eingesetzten Beamten waren vielmehr Greiftrupps der Polizei.


Bild- & Filmmaterial?

PigB. 15.06.2003 - 18:22
Wir wären sehr interessiert an jeglichem Material (oder Quellenangaben dazu), das belegt, dass die Genfer Polizei am frühen Sonntagmorgen ernsthafte Schritte unternahm, Sachschäden zu verhindern und VerusacherInnen zu verhaften.

PS:

PigB. 15.06.2003 - 18:35
Das "verantwortlich" im Titel ist ein Zitat aus dem unteren beigefügten Zeitungsartikel.

demo am sonntag morgen.....

war gut organisiert. 16.06.2003 - 15:59
wir konnten nicht wissen,dass die polizei uns so lange nicht behelligen wuerde.
an der demo waren sicherlich keine zivilbeamten dabei.
wenn polizisten angetroffen worden waeren,waeren sie direkt angegriffen worden.
trotzdem hochinteressanter artikel oben.
mensch lernt nie aus.
immer interessant,welche taktik der staat,polizei usw. so benutzen.

@justus

schwarzer kater 17.06.2003 - 14:11
es war aber leider so! ich war im camp zaag und wir haben die ganzen infos von mehreren menschen bekommen die dabei waren. deshalb haben auch einige leute eine stellungname dazu geschrieben die auf indy.ch zu finden ist. leider waren an den aktionen in der nacht ziemlich viele idioten dabei die autos angegriffen haben in denen menschen saßen und die auch kleine geschäfte angezündet die sich im erdgeschoss von wohnhäusern befanden! und der "black block" konnte genau 45 minuten unbehelligt durch die strassen ziehen- ohne polizei! ich will hier nicht gegen militanz sein- ich befürworte sie ja selber- aber was da abgelaufen ist hat nix mehr mit militanz zu tun sondern mit sinnloser zerstörungswut einiger idioten. es ist ja auch kein zufall dass sich viele anarchistInnen kurz nach dem anfang der demo auf den nachhauseweg gemacht haben, da sie mit so einer scheissaktion nix zu tun haben wollten. (nochwas: viele menschen haben aber auch nicht mitbekommen dass autos mit menschen drinnen zertrü+mmert wurden und dass wohnhäuser angezunden wurden)