Emmely zurück an die Kasse?

medienguerilla 10.06.2010 16:57 Themen: Soziale Kämpfe
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat die fristlose Kündigung von Emmely für unwirksam erklärt. Muss die Kassiererin nun zurück an die Kaiser's-Kasse? Ihr wäre ein besserer Arbeitgeber zu wünschen.
Der Fall ist hinlänglich bekannt: Die Berliner Kassiererin Emmely verlor Anfang 2008 nach 31 Jahren Anstellung ihren Job. Ihr Arbeitgeber Kaiser's Tengelmann verdächtigte sie, liegengebliebene Flaschenpfandbons im Wert von 1,30 Euro an sich genommen zu haben. Das mit den Bons ist nicht bewiesen. Sicher dagegen ist ein anderer Hintergrund: Emmely war 2007 durch die Teilnahme an Streiks aufgefallen.

Emmely klagte gegen die Kündigung und verlor 2008 vor dem Arbeitsgericht Berlin, welches urteilte: Die Verdachtskündigung sei wegen des zerrütteten Vertrauensverhältnisses gerechtfertigt gewesen.

Emmely legte Berufung ein. Doch auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg urteilte: Die Kündigung sei rechtens. Offenbar sah es das Landesarbeitsgericht sogar als erwiesen an, dass Emmely die beiden Bons tatsächlich an sich genommen hatte. Desweiteren wurde ihr vorgeworfen, den Verdacht auf andere Mitarbeiter abzuwälzen.

Verhältnismäßigkeit, Menschenverstand und der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" war an diesen deutschen Arbeitsgerichten offensichtlich kein Thema. Emmelys Anwalt sah den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg schon als letzten Ausweg, wagte dann aber einen Versuch beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt, welches Ende Juli 2009 ein Revisionsverfahren gegen das Urteil zuließ.

Seit der Kündigung waren knapp anderthalb Jahre vergangen. Dass ein solch langwieriger, ohnehin absurd scheinender Kampf gegen Unrecht nur mit Unterstützung möglich ist, dürfte klar sein.[2]

Rund ein weiteres Jahr später, am 10. Juni 2010, fiel das Urteil: Die fristlose Kündigung sei unwirksam. Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigte die "über drei Jahrzehnte ohne rechtlich relevante Störungen verlaufene Beschäftigung, durch die sich die Klägerin ein hohes Maß an Vertrauen erwarb. Dieses Vertrauen konnte durch den in vieler Hinsicht atypischen und einmaligen Kündigungssachverhalt nicht vollständig zerstört werden."[3]

Für Emmely ist dies sicher ein großer Tag, ein ganz großer. Ihr ist, obwohl die Vorzeichen dagegen sprachen, Gerechtigkeit widerfahren. Rechtsunkundige stellt die Entscheidung der Paragraphenreiter allerdings vor bange Fragen: Muss Emmely nun zurück zu Kaiser's an die Kasse? Muss sie die Arbeit der vergangenen zweieinhalb Jahre nachholen, da die Kündigung unwirksam ist? Erhält sie nachträglich das volle Gehalt? Hat Emmely nicht einen besseren Job verdient, jetzt erst recht? Und warum kauft überhaupt noch jemand bei Kaiser's Tengelmann ein?



Quellen:
[1]  http://de.wikipedia.org/wiki/Emmely
[2]  http://www.emmely.org
[3]  http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2010&nr=14382&pos=0&anz=42
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Ergänzungen

Solikundgebungen

interkomm 10.06.2010 - 19:26
In Berlin und Erfurt gab es Solikundgebungen.

In Berlin waren ca. 50 Menschen. Außerdem wurde der Sieg der FAU vor Gericht gefeiert. Die FAU, die den Arbeitskampf des Kinos Babylon organisierte, darf sich nun wieder Gewerkschaft nennen!

Kommt alle am Samstag zu den bundesweiten Antikrisendemonstrationen:

Samstag | 12. Juni 2010
Berlin | Rotes Rathaus | 12 Uhr
Stuttgart | Innenstadt | 11 Uhr

Sie muß keine Arbeit nachholen...

Arbeitsrechts-Erfahrener 10.06.2010 - 22:02
im Gegenteil, der "Arbeitgeber" gerät in sogenannten Annahmeverzug. Die Kündigung ist rechtlich unwirksam, das heißt, sie war 2 Jahre lang vertraglich angestellt, durfte aber widerrechtlich nicht arbeiten, obwohl sie es ja wollte.
Das hat zur Folge, daß sie den Lohn für diese Zeit nachfordern kann, sobald das Urteil rechtskräftig wird !
Daß Emmely wieder an der Kasse sitzen wird, ist aber nicht unbedingt so. Nach gewonnenen Arbeitsrechtsprozessen wollen "Arbeitgeber" die Beschäftigen oft per "goldenem Handschlag"-- einer einvernehmlichen Kündigung mit relativ hoher Abfindung-- loswerden. Dies geschieht, damit sich in den Betrieben nicht herumspricht, daß politische und juristische Gegenwehr zum Erfolg führen kann und eine Kollektivierung der Erfahrungen blockiert wird.
Was Emmely jetzt konkret macht, ist in erster Linie ihre Entscheidung. Gewonnen hat sie den Prozeß auf jeden Fall.

mehr dazu

dazu 10.06.2010 - 22:40

Köln: Emmely-Solidarität

Anarchosyndikat Köln/Bonn 10.06.2010 - 23:30

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 7 Kommentare an

Keine Solidarität... — ...mit Menschen...

geil — wow

@10.06.2010 - 17:23 — franz.hose

super! — hans

@ "Keine Solidarität"-Person — SchallundRauch

Freut mich ... — Manu