Sicherheit von politischen Großereignissen wird inflationär teuer

Die Ausgaben für die Sicherheit des Doppel-Gipfels von G8 und G20 im kanadischen Bundesstaat Ontario werden auf fast eine Milliarde kanadische Dollars erhöht

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Glaubt man der Regierung, soll der diesjährige G8-Gipfel unter kanadischer Präsidentschaft, der vom 25. bis 27. Juni im Golf-Ressort Huntsville und in Toronto stattfinden soll, auch die Werte Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit demonstrieren. Das lässt sich Kanada einiges kosten: Der ohnehin hohe Haushalt für Polizei, Geheimdienste und Militär (Tausende Augen für kanadische Polizei) wurde gehörig aufgestockt und liegt damit mehr als doppelt so hoch wie etwa beim letztjährigen G8 im italienischen L'Aquila. Der letzte kanadische G8 war 2002 mit 300 Millionen vergleichsweise billig, vielleicht weil sich die G8-Führer angesichts heftiger Gipfelproteste in Seattle, Prag und Genua nach Kananaskis in die Rocky Mountains verkrochen hatten.

"Sicherheit ist nicht übergreifende Thema", untertreibt Superintendent MacNeil von der Bundespolizei RMCP. Damit spricht er nicht für die Bevölkerung und zahlreiche Politiker, denn die Wogen über die Sinnhaftigkeit der Gipfel schlagen hoch. Der Minister für Öffentliche Sicherheit Vic Toews nimmt den Doppel-Gipfel zum Anlass darüber nachzudenken, ob die Events das Geld überhaupt wert seien. Endgültige Zahlen zu den Kosten will er allerdings erst nach dem Gipfel veröffentlichen.

Toews hält die Behauptung der britischen Regierung, der G20 in London 2009 hätte nur 20 Millionen für die Sicherheit gekostet, für gelogen. Kanada sei von "Sicherheitsexperten" beraten worden, die von rund einer Milliarde kanadischer Dollar (rund 732 Millionen Euro) für einen "sicheren Gipfel" ausgingen. Laut dem Minister würden jedoch vor allem die Sicherheitsbehörden nachhaltig vom Doppel-Gipfel profitieren: Laut Presseberichten wurde bislang "geheimgehaltene Ausrüstung" angeschafft, die von der Polizei nach den Gipfeln auf der Resterampe für die Hälfte des Geldes übernommen werden könnte.

Nun meldet sich der Verband der Steuerzahler zu Wort, der Alternativen ins Spiel bringt und den Gipfelrepräsentanten vorschlägt, Videokonferenzen abzuhalten. Die Partei "New Democrats" rechnet vor, dass von dem veranschlagten Geld 167.000 Kanadiern die Gesundheitsversorgung für ein Jahr gesichert werden würde oder 1.270 Hybrid-Busse für den Öffentlichen Nah- und Fernverkehr angeschafft werden könnten.

Auch mit der von Kanada anlässlich der Gipfel postulierten Demokratie ist es schlecht bestellt. Während der Protest in abgelegene "Speech Areas" verbannt ist, werden die Austragungsorte der Gipfel mit 3 Meter hohen Zäunen versehen und von störenden Elementen befreit. Das betrifft neben den Hot-Dog-Verkäufern vor allem Torontos Obdachlose, deren Anblick den weltweiten Finanzeliten erspart werden soll.

Wie der Flughafen wird auch das Stadtzentrum von privaten Sicherheitsfirmen überwacht, die nach Vertragsabschluss hierfür seit letzter Woche händeringend Personal suchen. Ebenfalls seit letzter Woche ist die Anschaffung von "Soundkanonen" ("Long Range Acoustic Device" LRAD) amtlich, mit denen der erwartete Protest zum Schweigen gebracht werden soll, sofern er sich nicht mit den bereitgestellten "Speech Areas" begnügt. "Die Menschen haben das Recht dass ihre Stimmen gehört werden", kritisiert ein Aktivist des breit gefächerten Toronto Community Mobilization Network, das seit letztem Jahr an der Vorbereitung des Widerstands gegen die Gipfel arbeitet. "Soundkanonen" wurden zuvor zur Aufstandsbekämpfung im Irak oder gegen Piraten vor Somalia eingesetzt. Ihre Anwendung gegenüber politischen Protest ist unter anderem aus Honduras, von japanischen Walfängern oder dem letzten G20 in Pittsburgh/USA bekannt.

Die kanadische Polizei droht ihren Einsatz für "alle zukünftigen Versammlungen" an. Die sogenannten "nicht-tödlichen Waffen" können zur Folter genutzt werden und auch im Straßeneinsatz zu permanenten Gehörschäden führen. Bürgerrechtler kritisieren, dass es keine öffentliche Debatte über die Einführung der Geräte gegeben hat. Von den vier neuen LRAD sind drei der Geräte tragbar und haben eine Reichweite von etwa 600 Metern, während das vierte auf Fahrzeuge oder Schiffe montiert wird und rund doppelt so weit lärmt.

Von "Terrorismus, Extremismus, Anarchismus" bis zu "Protesten" und "Cyber-Bedrohungen"

Noch im März wurden die Sicherheitsausgaben mit 179 Millionen Dollar angegeben. Nun heißt es, dass diese Summe allein für polizeiliche "pre-event operations" aufgewendet würde. Was damit gemeint ist bleibt größtenteils unklar. Bekannt sind hingegen die Versuche der Polizei, den wachsenden Protest einzuschüchtern und zu spalten: Polizei und Geheimdienste schüchtern politische Aktivisten mit "Hausbesuchen" ein, unter ihnen Studenten und Rentner. Die Belästigten werden zur politischen Arbeit und ihren Netzwerken ausgehorcht. Mindestens 27 solcher Vorfälle sind den vorbereitenden Gruppen bekannt, was zuletzt zu einer allgemeinen Warnung seitens der Aktivisten geführt hatte.

Um die Beschnüffelung zu verbreitern, haben die Verfolgungsbehörden die landesweite Lastwagenfahrer-Vereinigung zu Hilfe gerufen. Trucker sind aufgefordert, "Bedrohungen und verdächtiges Verhalten" zu melden. Im Fokus stehen an erster Stelle "Terrorismus, Extremismus, Anarchismus", gefolgt von "Protesten" und "Cyber-Bedrohungen". Ein beträchtlicher Teil der neuen 321 Millionen, über die jetzt sich die Bundespolizei freut, wandert zudem in den undurchsichtigen Bereich "intelligence gathering".

Demonstranten argwöhnen, dass wieder sogenannte "Agents Provocateurs" eingesetzt werden, worauf die Recherche einer unabhängigen Journalistin hindeutet. Sie hatte verschiedene Sicherheitsbehörden befragt, ob daran gedacht würde Demonstranten zu illegalen Aktivitäten anzustiften. Keiner der Sprecher wollte die heikle Frage bejahen oder verneinen, da es sich um "operationelle Fragen" handele. Demgegenüber wurde die Existenz von Zivilpolizisten auf Demonstration im Voraus bestätigt. Erste Zusammenstöße mit der Polizei anläßlich eines G8-Bildungsgipfels haben bereits zu heftiger Kritik an der Polizei geführt.

Inmitten des Trubels um die Sicherheits-Milliarde kommt den Behörden eine jüngst ausgeführte "Direkte Aktion" gegen eine Filiale der landesweiten RBC-Bank in Ottawa gerade recht. Die Verantwortung für den Wurf eines Brandsatzes hatte eine bis dahin unbekannte anarchistische Gruppe "FFFC-Ottawa" übernommen. Mit dem Slogan "Die Olympischen Spiele sind vorbei, aber eine Fackel brennt noch" wird auf die Rolle der RCB-Bank als Sponsor der Spiele angespielt, gegen die es unter dem Motto "No Olympics on stolen land" eine Kampagne indigener Gruppen und ihrer Unterstützer gegeben hatte. Die Bank ist seit 2007 regelmäßig Adressat von Protest, unter anderem wegen ihrer unrühmlichen Rolle in der kanadischen Ölförderung in den "Tar Sands".

Der jüngste Anschlag wurde selbstbewusst gefilmt und auf Indymedia Ottawa online gestellt, was unverzüglich zu einem polizeilichen Hausbesuch bei den whois-Verantwortlichen führte. Deren Administratoren wollen sich aber nicht vom militanten Protest distanzieren und bleiben kühn bei der auch in anderen Spektren bislang üblichen Linie, den Spaltungsversuchen von Polizei und Medien zu widerstehen und Aktionsformen anderer Gruppen nicht kritisch zu kommentieren.

Auch das breite Toronto Community Mobilization Network möchte sich nicht dem polizeilich definierten Gewaltbegriff beugen und verweist stattdessen auf die durch G8 und G20 verursachte Gewalt an "Indigenen, Armen, Frauen und Menschen dunkler Hautfarbe überall auf der Welt". Die G20 und ihre Banken werden für die globale Krise verantwortlich gemacht. "Eine zerstörte Bank", fasst die Gender-Aktivistin Anna Willats gegenüber der versammelten Presse zusammen, wird innerhalb eines Monats repariert; Gewalt gegen Frauen indes hält für Generationen an".

Die Gewalt-Debatte erinnert die kanadische Öffentlichkeit nicht zuletzt an den "Summit of Americas" in Quebec 2001, im Jahr des Höhepunkts weltweit heftiger Gipfelproteste. Damals beschossen Aktivisten die hochgerüstete Riot-Polizei durch ein fahrbares Katapult mit knuffigen Teddybären, was den Umstehenden jahrelange Gerichtsverfahren eingebracht hatte.