Willkür wie zu Kaisers Zeiten

Zbigniew Menschinski 01.03.2009 14:55 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Wie ein demokratieallergischer Konzern und privat honorierte Teile der deutschen Justiz den Schulterschluss im Fall "Emmely" üben
Wer in Deutschlands Arbeitswelt seine verfassungsmässigen Rechte wahrnimmt, wer gar in der Gewerkschaft ist und an Streiks teilnimmt, sollte in Zukunft nicht nur seinen Anwalt ständig in Rufweite haben, sondern bei seiner Arbeit auch polizeilichen Schutz in Form amtlicher Verfilmung seiner beruflichen Tätigkeit anfordern.

Das lehrt zumindest der Fall Kaiser's gegen Barbara E., inzwischen auch als "Emmely" bekannt.

Wegen des Verdachts auf Diebstahl von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro wurde Barbara E., eine Mitarbeiterin bei Kaiser's nach 30-jähriger Tätigkeit im Supermarkt fristlos entlassen. Die Betonung liegt auf Verdacht, denn ein Beweis liegt nicht vor. Die Mitarbeiterin bestreitet die Tat. Angeblich soll die Frau zwei Pfandbons im besagten Wert von 1,30 Euro an der Kasse einer Kollegin eingelöst haben.

Nun werden die Vorgänge an den Kassen bei Kaiser's per Videokameras überwacht. Seltsamerweise erfolgte die Anschuldigung gegen die Kassiererin erst nach mehreren Tagen, als die Videoaufnahmen des Kassenbereichs bereits gelöscht waren.


Alles nur Zufall?

Der Tengelmann-Konzern ist kein Waisenkind, was die Beschneidung verfassungsmässiger Rechte angeht. Das zeigt der Fall kik in Österreich. Wie Kaiser's gehört die Textilhandelskette Kik zum Tengelmann-Konzern.

Anfang des Jahres 2007 schreibt der kik-Fillialleiter Andreas Fillei eine Betriebsratswahl aus und wird kurz danach vom Management des Tengelmann-Konzerns fristlos entlassen; ausserdem erhält er Hausverbot für alle KiK-Filialen. Am 22. Februar wird das Hausverbot gegen Fillei durch eine einstweilige Verfügung des Arbeits- und Sozialgerichts Wien aufgehoben, zudem wird gerichtlich angeordnet, dass noch im März 2007 Betriebsratswahlen bei Kik-Tengelmann durchzuführen sind.

Das Konzernmanagement versucht, diese Anordnung zu unterlaufen, indem die Liste des gekündigten Andreas Fillei vom Wahlzettel gestrichen wird. Diese Streichung muss wieder zurückgenommen werden. Inzwischen erreichen Tausende von Protest-Mails die Zentrale von kik-Tengelmann. Mitte Mai nimmt der Konzern die fristlose Kündigung von Andreas Fillei zurück und Ende Juni/ Anfang Juli 2007 wird erstmals ein Betriebsrat bei kik-Tengelmann in Österreich gewählt.
(Quellen: KURIER-Feburar 2007, orf.at-14.3.2007 und 2.07.2007)



Kaiserliche Rechtsauffassung

Die Konzernleitung von Kaisers-Tengelmann in Deutschland muss ihre Lektion in Sachen Rechtsstaat und Demokratie anscheinend noch lernen.

Deutschlands Arbeitsgesetze erleichtern diesen Lernprozess allerdings nicht unbedingt. Denn es gibt da den Paragraphen 626 II BGB der Verdachtskündigung, ein Relikt aus Kaiser Wilhelms Zeiten, der in wechselndem Gewande seinen Weg durchs "Dritte Reich" bis in unsere Republik gefunden hat.

Ein Arbeitgeber kann demnach einen Arbeitnehmer fristlos entlasen, wenn zum Beispiel der "begründete Verdacht" einer Straftat besteht. Beweisen muss der Arbeitgeber die Tat nicht, es muss nur ein begründeter Verdacht bestehen. Was als "begründet" zu verstehen ist, bleibt dem Urteil des jeweiligen Gerichts überlassen.

Abwehren kann ein Beschuldigter eine solche Verdachtskündigung nur, wenn er seine Unschuld beweisen kann. Das widerspricht nicht nur eklatant internationalem Recht, sondern auch den Prinzipien der deutschen Verfassung, denn zu den Grundrechten gehört die "Unschuldsvermutung" eines Verdächtigten.

Wenn der Verdächtige "Glück" hat, findet er Richter, die ihren Ermessensspielraum im Sinne der Verfassung nutzen. So liess das hessische Landesarbeitsgericht (4/12 Sa 523/07) eine Verdachtskündigung daran scheitern, weil "der Arbeitgeber nicht alle ihm zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen habe".

Wer wie im Falle Kaisers-Tengelmann Videoaufnahmen von den fraglichen Kassenvorgängen verloren gehen lässt, hat wohl kaum "alle ihm zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen".

Wie gesagt, wer als Verdächtiger "Glück hat", trift auf solche Richter wie bei diesem Urteil (4/12 Sa 532/07), wer allerdings "Pech hat", wie im Falle Kaiser's gegen Barbara E., trifft auf Richter, die sogar in Seminaren auftreten, in denen Managern gelehrt wird, wie sie das Mittel der Verdachtskündigung "erfolgreich" einsetzen können.

So hält Richterin Daniele Reber, die am Berliner Arbeitsgericht gegen Barbara E. entschieden hat, nebenher Referate für Führungskräfte bei FORUM ab, einem"Institut für Management". xxxxx://www.bwb-law.de/fileadmin/pdf-dokumente/Forum-Arbeitsrecht.pdf

Das FORUM-Institut gehört zum Springer Science Business Media Konzern und "beschäftigt sich mit der beruflichen Weiterbildung von Führungskräften". Für seine Seminare verlangt das FORUM-Institut auch schon mal um die 1.300 Euro. Pro Teilnehmer versteht sich.

Unter anderem geht es in den FORUM-Seminaren, in denen auch die Arbeitsrichterin Vorträge hält, um "Taktische Erwägungen im Kündigungsschutzprozess" und "Nachschieben von Kündigungsgründen/Folgekündigungen" .


Ein Spezialseminar der Richterin wird wie folgt angeboten: "In dem Seminar sollen die Prüfungsschritte für eine Sozialauswahl systematisch dargestellt und diskutiert werden, um zu einem angemessenen, einer gerichtlichen Überprüfung standhaltenden Auswahlergebnis zu gelangen."


Die fristlos auf Verdacht hin von Kaiser's-Tengelmann gekündigte Kassiererin will weiter den Rechtsweg beschreiten. Sie lebt heute von HartzIV und musste in eine billigere Wohnung umziehen. Was ihr am meisten zu schaffen macht, ist die erlittene Ungerechtigkeit, ihre Verurteilung nur auf Verdacht hin und dass ihr guter Ruf geschädigt wurde. Barbara E. ist keine geborene Jeanne d'Arc, sondern eine einfache Frau, die ihr Leben lang im Supermarkt gearbeitet hat, Mutter dreier Kinder, die sie allein durchbringen musste.

Sie könnte auf ihrem Weg durch die Instanzen allerdings nicht nur ein verfassungskonträres Gesetz zu Fall bringen, sondern neben Arroganz und Willkür eines Konzerns auch die Praxis anrüchiger Nebentätigkeiten, die bei einigen - hoffentlch nur wenigen - Mitgliedern der Justiz inzwischen üblich zu sein scheint.
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Ergänzungen

Die Überflüssigen besuchen Kaiser's

Kanal B 01.03.2009 - 19:45

Kassiererin streikt – Kaiser's kündigt

http://www.labournet.de 01.03.2009 - 19:48

gesetze von damals

buff 01.03.2009 - 21:24
schon merkwürdig, dass ein stundenlohn von 56c sittenwidrig ist, hingegen eine kündigung wegen 130c nicht. also ich weiß von jemandem, der mal in einem supermarkt gearbeitet hat, dass der chef samstags kurz vor schluss gerne mal nen kasten bier aufgemacht hat. oder es ein sortiment an waren zum mitnehmen für mitarbeiterInnen gab, weil diese in der nächsten woche abgelaufen wären.

übrigens: nicht nur das im artikel angesprochene gesetz ist noch aus kaiserzeiten. ebenso gibt es immer noch welche aus der nazi-zeit.

z.b. gibt es in deutschland noch eine schaumweinsteuer, die erst der kaiser, dann die nazis. einführten um bestimmte kriegsprojekte zu finanzieren. das gesetz besteht heute immer noch, das geld geht jedoch an den bund. ein weiteres beispiel ist das anwaltsmonopol. es wurde zwar bereits gelockert, wurde damals aber eingeführt um jüdische anwältInnen weiter einzuschränken. ebenso hat man 2005 erst gesetze abgeschafft, die wilhelmII privilegien einräumten. einer person, die seit ca. 60 jahren tod, und mehr als 80 jahren nicht mehr "im amt" war.

 http://www.morgenpost.de/printarchiv/politik/article344692/Regierung_streicht_Gesetze_der_Kaiserzeit.html

Kettensupermärkte sind sittenwidrig

Studi 01.03.2009 - 21:40
Hab mal bei Kaufland gearbeitet, da hiess es ganz klar: wer abgelaufenenes Obst nach dem Wegwerfen aus der Tonne holt, wird nicht nur gefeuert, sondern bekommt eine Diebstahlanzeige. Da die Tonnen einen eigenen Wachschutz hatten, hatten wir uns brav dran gehalten und nur den Kopf geschüttelt. Obst sollte übrigens schon dann weggeworfen werden, wenn auch nur die kleinste Druckstelle sichtbar wurde und am Wochenende alles. Wer kann, sollte zusehen, bei kleinen Läden oder Märkten einzukaufen. Auch wenns ein bischen mehr kostet...

Solidarität mit Emily

kik 02.03.2009 - 11:42
kleine Richtigstellung: Laut der Gerichtserklärung vom 2. Prozesstag, hat sicvh der Verdacht bestätigt und der "Pfandbon" (die ja bekanntlich auf dem Boden lagen) wurde von Emily eingeräumt. Blosse Verdachtskündigung triffts also in diesem Fall nach derzeitigen Stand nicht.
Für Solidarität mit EMily spielt dass jedaoch keine Rolle - Tengelmann boykotieren!
Die Details sind sehr interessasnt und , wie mien Vorredner schon sagte, in der gängigen Presse bisher noch nirgends erwähnt worden...

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Danke — user

danke — wer kennt es nicht

was hilft gegen sozialabbau ? — greez charles