Lobbyarbeit für die Militärmacht Europa

Die sicherheitspolitische Agenda der Bertelsmann-Stiftung

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Sage niemand, die Provinz sei harmlos. Einer der einflussreichsten Fürsprecher einer Militarisierung der deutschen und europäischen Außenpolitik ist im westfälischen Gütersloh zuhause. Die Bertelsmann-Stiftung unterstützt im Kampf um den globalen Einfluss den Aufbau der „Supermacht Europa“ und deren militärischer Aufrüstung, womöglich auch mit Atomwaffen .

Die Bertelsmann-Stiftung wurde 1977 von Konzern-Patriarch Reinhard Mohn gegründet. In den 90er Jahren übertrug er der Stiftung knapp 70 Prozent des Grundkapitals der Bertelsmann AG, im Jahr 2006 wurde der Anteil auf fast 77 Prozent aufgestockt. Sowohl die finanziellen und personellen Ressourcen als auch die daraus resultierenden Einflussmöglichkeiten der Stiftung sind in Deutschland einzigartig. Für die strategische Vorbereitung und Umsetzung ihrer gesellschaftspolitischen Projekte stehen der Stiftung 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung. Hinzu kommen von der Stiftung finanzierte Forschungsinstitute wie das Centrum für angewandte Politikwissenschaft (CAP) in München, sowie ein engmaschiges Netzwerk von persönlichen Beziehungen, das bis in die Spitzen der nationalen, europäischen und transatlantischen Politik reicht.

Die außenpolitische Agenda der Stiftung hat einen eindeutigen Fokus: Europa soll innerhalb der globalen Wirtschafts- und Machtblöcke seine Interessen wahrnehmen, sich als Weltmacht definieren und zum globalen Militärakteur entwickeln, der bei Bedarf jeden Punkt der Welt kontrollieren kann. Damit sollen die sogenannten sicherheitspolitischen Interessen gewahrt werden, die Hand in Hand gehen mit wirtschaftlichen Interessen: sicherer Zufluss von Rohstoffen, ungehemmte Kapitalflüsse sowie reibungslos funktionierende globale Liefer- und Absatzketten.

Mit dieser Agenda steht die Bertelsmann-Stiftung nicht alleine und pflegt den Kontakt zu ähnlich ausgerichteten Akteuren. Es bestehen enge personelle Verbindungen zwischen ihr und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), einem zentralen außenpolitischer Think Tank, der sich vornehmlich aus Mitteln des Auswärtigen Amtes und der Industrie finanziert. Hier tauschen sich Vertreter des deutschen Militärs und der Geheimdienste mit Wissenschaftlern und Journalisten aus. Werner Weidenfeld, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung und Leiter des CAP, war lange Zeit Mitglied des Exekutivausschusses und des Präsidiums der DGAP. Der Politologe steht seit 1992 auf der Gehaltsliste von Bertelsmann. Zuvor war er langjähriger Berater von Helmut Kohl und brachte sein weitreichendes Netz persönlicher Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern in Deutschland, der EU und den USA in die Stiftung ein. Im Präsidium der DGAP sitzen zudem der einflussreiche EU-Parlamentarier und Bertelsmann-Lobbyist Elmar Brok, Rita Süßmuth, die bis vor kurzem auch im Kuratorium des Bertelsmann-Stiftung saß, sowie Günther Nonnenmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er wurde 2004 als Dank für seine langjährige Verbundenheit in den exklusiven Club der „CAP-Fellows“ aufgenommen.

Europa als globaler sicherheitspolitischer Akteur

1999 gründete die Bertelsmann Stiftung die Arbeitsgruppe „Venusberg Group“. Sie besteht aus neun außen- und sicherheitspolitischen „Experten“ aus verschiedenen europäischen Staaten. Im Jahr 2000 veröffentlichte das Gremium unter dem Titel "Enhancing the European Union as an International Security Actor. A Strategy for Action" ein sicherheitspolitisches Konzept für die EU. Darin wird gefordert, dass sich „die EU bis 2030 gegen alle Arten von Bedrohung autonom verteidigen können“ soll. Es wird auch deutlich gesagt, dass die militärische Leitstrategie der Verteidigung des eigenen Territoriums gegen Angriff nicht mehr genügt. Unverhohlen empfiehlt das Konzept „[...] über den regionalen Rahmen hinaus weltweit zu Sicherheit und Stabilität beizutragen. [...] Ziel der EU sollte es sein, sowohl im zivilen wie im militärischen Bereich zu einem effektiven sicherheitspolitischen Akteur zu werden.“ Das schließt auch ausdrücklich EU-weite militärische Strukturen und gemeinsame Rüstungsprojekte ein.

Diese nachdrückliche Empfehlung einer Militarisierung der EU-Außenpolitik bestärkt Tendenzen der EU-Kommission und der Regierungen der Mitgliedsländer. So hat der Europäische Rat auf seiner Sitzung im Dezember 1999 beschlossen, eine europäische Eingreiftruppe aufzubauen, die innerhalb von 60 Tagen mit einer Stärke von bis zu 60.000 Soldaten weltweit einsetzbar ist und deren Einsatz für ein Jahr gewährleistet werden kann. Die Bertelsmann-Stiftung sieht ihre Rolle innerhalb des Elitendiskurses darin, den Ausbau der EU zur militärischen Weltmacht zu beschleunigen. Kurz nach dem 11. September 2001 wurde dann von der Stiftung eine „Task Force Zukunft der Sicherheit“ ins Leben gerufen. Das selbst gesteckte Ziel lautet: „Schwachstellenanalyse der gegenwärtigen außen- und innenpolitischen Sicherheitsstrukturen vornehmen und einen Katalog von Empfehlungen für die Abwehr aktueller und denkbarer Bedrohungen erarbeiten.“ Der Ton zeugt vom selbstbewussten Umgang mit den höchsten politischen Stellen auf nationaler und europäischer Ebene.

Man kennt sich eben gut. So ist es nichts Ungewöhnliches, dass im November 2001 in Brüssel Bertelsmann-Stiftung und CAP gemeinsam ein Strategiepapier zur Zukunft des europäischen Prozesses an EU-Kommissar Güter Verheugen übergeben. Die Forderung auch hier: Der Aufbau einer gemeinsamen EU-weiten Außen- und Sicherheitspolitik. Die Argumentation für eine verstärkte weltpolitische Rolle verläuft dabei in zwei Richtungen: Einerseits wird „Europas weltpolitische Verantwortung“ bei der Befriedung der Welt hervorgehoben. 2004 wurde innerhalb der Bertelsmann-Stiftung ein Projekt gleichen Titels aus der Taufe gehoben.

Auf der anderen Seite wird die EU unablässig als Opfer von zukünftigen Bedrohungen beschreiben, um den Ausbau der militärischen Macht zu legitimieren. Dazu wurde von der Stiftung beispielsweise 2006 das erste Global Policy Council abgehalten, an dem namhafte Politiker, Diplomaten und Wissenschaftler teilnahmen. Hauptredner war Innenminister Wolfgang Schäuble. Das CAP schrieb über die Veranstaltung:

Diese Bestandsaufnahme [...] zeigt, wie wirtschaftliche Verflechtung, globale Abhängigkeiten, Kontrolle über wichtige regionale Versorgungslinien, demographischer Stress, Pandemien, Zugang zu Ressourcen wie Energie und Wasser sowie Probleme wie staatliches Versagen oder die Entfaltung nuklearer Macht geostrategisches Handeln in Zukunft bestimmen werden.

Außenpolitik als Interessenspolitik

Einige Monate zuvor ging es auch beim „Bertelsmann International Forum“, der Bertelsmann-Kontaktbörse mit der großen Politik, einmal mehr um die globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen und Europas „strategische Antwort“ darauf. Zu Gast waren 160 Gäste, darunter Bundeskanzlerin Merkel, Verteidigungsminister Jung, Henry Kissinger, der Präsident der EU-Kommission, zahlreiche europäische Staats- und Regierungschefs, der Präsident der Europäischen Zentralbank und Vertreter der Weltbank. Dass die Zeiten der auf Verteidigung ausgerichteten EU-Sicherheitspolitik längst vorbei sind zeigt die Studie A European Defence Strategy der Venusberg Gruppe, die 2004 veröffentlicht wurde. Es geht um Angriffspolitik und das empfohlene strategische Konzept zielt auf „[...] offensive and defensive Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahmen“. Was dazu notwendig ist, lässt sich in Forderungen an die EU-Außenpolitik zusammenfassen: die Schaffung des Postens eines EU-Außenministers und einer EU-Armee, neue Waffen für den globalen Einsatz und gemeinsame geheimdienstliche Strukturen. Und was die französischen und englischen Atomwaffen anbetrifft, so heißt es lapidar:

In time it may be that the role of these [nuclear] forces might have to be formalised within an EU framework as they are within the NATO framework.

Es sind neue Töne, die die angebliche „Zivilmacht“ Europa von sich gibt. Die Wirtschaftsmacht hatte es bisher so gut verstanden, ihre Interessenpolitik hinter der Fassade des globalen Anwalts der Menschenrechte, als Helfer in der Not zu verstecken. Jetzt geht es darum, eine gesellschaftliche Akzeptanz für weltweite Kriegseinsätze herzustellen, die nicht mehr als humanitäre Einsätze bemäntelt werden. In einer Analyse des CAP zur Asienpolitik der EU ist etwa der Satz zu lesen:

Außerdem bedarf es eines Bekenntnisses der EU dazu, dass auch Europäer in ihrer Außenpolitik sehr wohl Interessenpolitik betreiben.

Militärische Einsätze, zumal wenn sie nicht als „Friedensmissionen“ dargestellt werden, sind jedoch für EU-Bürger immer noch gewöhnungsbedürftig. Die Bertelsmann-Stiftung hat das erkannt. Da sie hierzulande mittlerweile viel Erfahrung bei der Beeinflussung des gesellschaftlichen Klimas gesammelt hat, sieht sie ihre Aufgabe darin, gesellschaftliche Akzeptanz für die Etablierung der EU als Weltmacht zu schaffen. Ein Strategiepapier der Venusberg Group aus dem Jahr 2005 mit dem Titel „Why the World needs a Strong Europe...and Europe needs to be Strong. Ten Massages to the European Council” empfiehlt dem Europäischen Rat:

Engage the European People: Europeans want leadership. To generate political capital for Europe’s new defence European leaders must finally open a strategic dialogue with EU civil society about the role of Europe in the world. Only by gaining broad popular support Europe will be capable of achieving its strategic objectives and master the challenges ahead.

Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung gehen mit gutem Beispiel voran und nutzen Printmedien, Hörfunk und Fernsehen für ihre außen- und sicherheitspolitische Statements. Die zentrale Botschaft lautet: es gibt zahllose Gefahren für den europäischen Wohlstand und das Leben der EU-Bürger, die nicht mehr nur mit zivilen Mitteln abgewendet werden können. Klaus Brummer, Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung, hat sie 2006 in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau exemplarisch aufgezählt: „[...] Terrorismus, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Staatsscheitern und die Abhängigkeit von Energie-Importen“. Er hat dort leider nicht erwähnt, wie sich sein Arbeitgeber die Zukunft Europas vorstellt. In einer Broschüre des CAP aus dem Jahr 2003 mit dem Titel „Europas Zukunft“ beschreiben die Autoren ihr favorisiertes Szenario so:

Im Szenario Supermacht Europa wird das große Europa seinem objektiven Weltmachtpotential gerecht. Die Europäische Union nutzt ihre materiellen und institutionellen Ressourcen in vollem Umfang. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Bevölkerungszahl, militärisches Potential und das europäische Wertesystem bieten ihr eine beachtliche Handlungsbasis. [...] Die Supermacht Europa verabschiedet sich endgültig von der Idee einer Zivilmacht und bedient sich uneingeschränkt der Mittel internationaler Machtpolitik.