Mit dem Finanzamt gegen Friedensbewegung?

Der 1996 als Scharnier zwischen Wissenschaft und Friedensbewegung gegründeten gemeinnützigen "Informationsstelle Militarisierung" soll aufgrund von Zweifeln an der Verfassungstreue die Gemeinnützigkeit entzogen werden, wodurch sie faktisch zum Schweigen gebracht würde

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Die Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) versteht sich als Scharnier zwischen Wissenschaft und Friedensbewegung und verfolgt seit ihrer Gründung 1996 ihr satzungsgemäßes Ziel, dem Frieden und der Völkerverständigung dienliche Informationen zu veröffentlichen und zu verbreiten. Hierbei nimmt sie unter anderem eine kritische Haltung zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren und zum Abbau der Bürger- und Menschenrechte ein. Das Finanzamt Tübingen will dem Verein nun rückwirkend ab 2001 die Gemeinnützigkeit aberkennen.

Als Grund wurde genannt, eine nicht näher spezifizierte Behörde hätte Zweifel an der Verfassungstreue des Vereins erhoben. In der Konsequenz soll dieser nun seitens des Finanzamtes für die seit 2001 entgangenen Steuern mit 40 Prozent auf alle Spendeneinnahmen haftbar gemacht werden: sein sicherer Konkurs. Und zudem eine Aktion, welche IMI als politischen Skandal und gezielte staatliche Repression gegen Kritiker wertet. "Es ist bezeichnend, dass im Kontext verfassungswidriger In- und Auslandseinsätze deren Kritiker zu Staatsfeinden erklärt werden - von Organisationen, die dem Namen nach dem Schutz der Verfassung dienen", so Jürgen Wagner, Geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung.

Mit Schreiben vom 11. Mai 2007 erklärte das Finanzamt Tübingen nach über einjähriger Vorgeschichte, es beabsichtige, der IMI die Gemeinnützigkeit „für die Jahre ab 2001 zu versagen“, und drohte, der Verein müsse für die entgangene Steuer auf seit dem geleistete Spenden, die mit 40% angesetzt wird, haften. Bei einem persönlichen Gespräch zwischen Vorstandsmitgliedern und Vertretern des Finanzamtes wurde der IMI eine Frist von drei Monaten eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen.

Die Argumentation des Finanzamtes Tübingen

In seinem Schreiben vom 11. Mai 2007 argumentiert das Finanzamt dabei wie folgt:

Im Rahmen der Vorbereitung der zu treffenden Entscheidung habe ich die Web-Site der IMI eingesehen. Dabei fiel sofort auf, dass diese stark von allgemeinen politischen Themen dominiert wird. Insgesamt entsteht der Eindruck, daß die Tätigkeit der IMI sich fast ausschließlich in politischen Aktivitäten erschöpft. Ein solches Agieren ist aber von den Gemeinnützigkeitsregeln der §§ 51 ff der Abgabenordnung (AO) nicht gedeckt. Nr. 15 des Anwendungserlasses zu § 52 AO (vgl. beigefügte Kopie) führt hierzu aus, daß politische Zwecke (Beeinflussung der politischen Meinungsbildung) grundsätzlich nicht zu den gemeinnützigen Zwecken zählen. Zwar ist eine nur gelegentliche politische Stellungnahme im Rahmen des Satzungszwecks unschädlich, sie darf jedoch nicht Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft werden. Genau dies ist aber offensichtlich bei der IMI ausweislich ihrer Web-Site der Fall.

Bezeichnend an dieser Argumentation ist die Unterstellung, gemeinnützige Organisationen, die sich beispielsweise für den Frieden und die Völkerverständigung einsetzten, dürften sich nicht regelmäßig öffentlich äußern, da dies nicht mehr als gemeinnützig zu werten sei. Hier wird ein Artikel des so genannten Anwendungserlasses derart interpretiert, dass die Zivilgesellschaft bei zu häufiger Artikulation ihrer Meinung in Ermessenssache stets in Gefahr gerät, ihre „staatliche Anerkennung“ zu verlieren.

Im Wortlaut heißt es im genannten Anwendungserlass:

Eine gewisse Beeinflussung der politischen Meinungsbildung schließt jedoch die Gemeinnützigkeit nicht aus (BFH-Urteil vom 29.08.1984, BStBl 1984 II S. 844). Eine politische Tätigkeit ist danach unschädlich für die Gemeinnützigkeit, wenn eine gemeinnützige Tätigkeit nach den Verhältnissen im Einzelfall zwangsläufig mit einer politischen Zielsetzung verbunden ist und die unmittelbare Einwirkung auf die politischen Parteien und die staatliche Willensbildung gegenüber der Förderung des gemeinnützigen Zwecks weit in den Hintergrund tritt. Eine Körperschaft fördert deshalb auch dann ausschließlich ihren steuerbegünstigten Zweck, wenn sie gelegentlich zu tagespolitischen Themen im Rahmen ihres Satzungszwecks Stellung nimmt. Entscheidend ist, dass die Tagespolitik nicht Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft ist oder wird, sondern der Vermittlung der steuerbegünstigten Ziele der Körperschaft dient (BFH-Urteil vom 23.11.1988, BStBl 1989 II S. 391).

Es handelt sich also um eine Rechtsgrundlage, die ebenso auf die eine wie andere Art auszulegen ist. Im Rahmen der nun durch das Finanzamt Tübingen gegen die IMI verwandten Interpretation wäre es nun konsequenterweise auch möglich, nun etwa auch dem BUND oder Greenpeace momentan die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, da diese sich in den letzten Wochen mannigfaltig und wiederholt zu den Störfällen in deutschen Atomkraftwerken kritisch äußerten Zwingend notwendig ist dieses Vorgehen allerdings nicht.

Die IMI vermutet hierhinter politisches Kalkül gegen oppositionelle Meinungen. "Es ist doch bezeichnend, dass im Kontext verfassungswidriger In- und Auslandseinsätze deren Kritiker zu Staatsfeinden erklärt werden - von Organisationen, die dem Namen nach dem Schutz der Verfassung dienen", so Jürgen Wagner, Geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung. "Dass diejenigen, die im Ausland Aufstandsbekämpfung mit Tornados betreiben im Inland nicht davor zurückschrecken, das Finanzamt auf Kritiker zu hetzen, sollte nicht wundern", so Wagner weiter. „Der aktuelle Versuch, uns die Gemeinnützigkeit zu entziehen, zielt gezielt darauf, uns unserer finanziellen Grundlage zu berauben und den Verein zu zerschlagen. Schon jetzt nimmt dieser Angriff viel Arbeit in Anspruch, die wir gerne für den Frieden investieren würden.“

Dabei kommt der aktuelle „Angriff“, wie die IMI die Aktion des Finanzamtes auf anonymes staatliches Geheiß hin interpretiert, ausgerechnet zu einer Zeit, in der der Verein zunehmend Erfolge verbucht und mehr und mehr eine friedensbewegte Öffentlichkeit zu mobilisieren und erreichen vermag.

Die Argumentation der Informationsstelle Militarisierung

Überdies sieht die IMI die erhobenen Vorwürfe als unbegründet an. Keinesfalls sei die Arbeit der IMI ganz „allgemeinen politischen Themen dominiert“. Tatsächlich hätten alle veröffentlichten Texte Bezug zu den Satzungszwecken Frieden und Völkerverständigung. Da diese Ziele jedoch durch tagespolitische Entscheidungen in Gefahr seien, ließe man es sich nicht nehmen, hierzu auch aktuell Stellung zu beziehen.

Die von der IMI in diesem Rahmen veröffentlichten Studien, welche einen abstrakten und umfangreichen Einstieg in die Friedensthematik ermöglichten, beruhten dabei auf der längerfristigen Beobachtung des internationalen Krieg- und Konfliktgeschehens, von Rüstungsprojekten und Konfliktstrategien in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, die den tatsächlichen Schwerpunkt der Arbeit der IMI darstellten.

Darüber hinaus ist die IMI Mitherausgeber der Zeitschrift „Wissenschaft und Frieden“, betreut wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Frieden und Konflikte und stellt sie der Öffentlichkeit eine Bibliothek zu eben diesem Thema zur Verfügung.

Bezeichnend sei überdies, dass die nicht genannte Behörde, welche gegenüber dem Finanzamt der IMI „Verfassungsfeindlichkeit“ unterstellt hat, und hinter welcher die IMI selbst nun den Verfassungsschutz vermutet, diesen Vorwurf einfach „in den Raum gestellt (hat), ohne ihn (jedoch) zu spezifizieren oder zu belegen.“

Die IMI wird sich nun gerichtlich wehren und hat überdies die Kampagne IMI - gemein aber nützlich initiiert, um die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Im Rahmen dieser ist es beispielsweise möglich, einen vorgefertigten Brief an das Wahrheitsministerium auszudrucken und als Unterstützungsleistung an das zuständige Finanzamt zu senden.