Geschäft oder Gütersloher Gutmenschentum?

Ein Hamburger Kongress nahm den politischen Einfluss der Bertelsmann Stiftung unter die Lupe

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Die Bertelsmann Stiftung hat mehr Geld, Macht und Einfluss als jede andere Organisation der sogenannten "Zivilgesellschaft" in Deutschland. Sie mischt sich in alle zentralen Politikfelder ein und es gibt bislang Niemanden, der sie aufhält. Im Gegenteil: die Bertelsmann Stiftung kann auf persönliche Netzwerke bauen, die sie zu allen wichtigen politischen Akteuren unterhält. Ihre Strategie: Sie wirkt effizient und "zielführend" abseits demokratischer Entscheidungswege im Hintergrund auf die politischen Entscheider ein. Damit blieb sie der Öffentlichkeit in ihrer Funktion als Reformmacht bislang nahezu unbekannt. Um das zu ändern, wurde in Hamburg bereits zum zweiten Mal ein Kongress veranstaltet, der sich kritisch mit der obskuren Rolle der Stiftung im politischen Geschäft auseinander setzte.

Die Stiftung ist ein ökonomisches Schwergewicht. Firmenpatriarch Reinhard Mohn gründete sie 1977, machte sie zur Teilhaberin seines Konzerns Bertelsmann AG und übertrug ihr immer größere Besitzteile. Mittlerweile ist die Stiftung zur Hauptaktionärin aufgestiegen, erst vor wenigen Tagen wurde ihr Anteil um knapp 20 Prozent aufgestockt. Die als gemeinnützig anerkannte Stiftung besitzt nun über drei Viertel (76,9 Prozent) des viertgrößten globalen Medienkonzerns.

Dahinter steht offensichtlich die Absicht der Familie Mohn, den politischen Einfluss der Stiftung in Zukunft noch weiter auszubauen. Nach der Aufstockung der Anteile werden der Stiftung für ihre Reform-Tätigkeiten künftig jährlich zwischen 80 und 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Als operative Stiftung ist es das erklärte Ziel der Bertelsmann Stiftung, nicht nur mitzureden, sondern aktiv gesellschaftliche Reformen auf den Weg zu bringen. Bereits heute arbeiten über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Umsetzung des vorrangigen Zieles: "Die Bertelsmann Stiftung will frühzeitig gesellschaftliche Herausforderungen identifizieren sowie exemplarische Lösungsmodelle entwickeln und verwirklichen."

Das Spiel erinnert an die Geschichte vom Hasen und Igel: Wo ein Problem auftaucht, ist die Stiftung immer schon mit einer Lösung zur Hand. Die zeichnen sich allerdings durch eine geradezu verwegene Schlichtheit aus. Im Grunde kennt die Stiftung nur eine einzige Antwort auf alle Probleme, und seien sie noch so vielschichtig: Die Gesellschaft soll wie ein Unternehmen geführt werden. Das ist der große Traum des Firmenpatriarchen Reinhard Mohn, den er selbst immer wieder im Büchern, Interviews und Aufsätzen zum Besten gibt:

Mit der Bertelsmann Stiftung ist mir in 25 Jahren der Nachweis gelungen, dass die Grundsätze unternehmerischer, leistungsorientierter und menschengerechter Gestaltung der Ordnungssysteme in allen Lebensbereichen zur Anwendung gebracht werden können [...] Die Übertragung des in der Wirtschaft entwickelten Modells der „Unternehmenskultur“ in andere Lebensbereiche ist möglich!

Reinhard Mohn im Jahr 2003

So wie Mohn "Demokratie" lediglich als "Ordnungssystem" begreift, so geht er auch davon aus, man könne den Bedürfnissen einer Gesellschaft von 80 Millionen Menschen ausschließlich durch den Rückgriff auf unternehmerische Prinzipien gerecht werden.

Die Schlüsselbegriffe sind dabei: Konkurrenz, Kennziffern, Zielvorgaben, Wettbewerb. In diesem Sinne wird in Gütersloh ein weites Feld beackert: Von der Reform von Hochschulen, Schulen und öffentlichen Verwaltungen bis zur Einmischung in die Gesundheits-, Einwanderungs- und Außenpolitik. In Gütersloh entwickelt man derzeit für über 60 zentrale Projekte neoliberale Strategien und Konzepte. Doch das marktwirtschaftliche Prinzip kann verheerende und kontraproduktive Auswirkungen haben, wie der niedersächsische GEW-Vorsitzende Eberhard Brandt am Beispiel der Schulen verdeutlichte.

Das Bildungskonzept verschärft soziale Unterschiede

Die Bertelsmann Stiftung arbeitet an vielen Stellen eng mit staatlichen Schlüsselinstitutionen zusammen, beispielsweise bei der "Schulreform" in Niedersachsen. Stiftung und Kultusministerium haben ein umfangreiches Kooperationsabkommen vereinbart, um "die Qualität von Schule und Schulsystem in Niedersachsen durch Entwicklung und Erprobung von Steuerungsinstrumenten zu steigern." Die Stiftung stößt im Ministerium auf offene Ohren und auch bei Lehrerinnen und Lehrern kommt sie auf den ersten Blick gut an. Eberhard Brandt beschreibt die Bertelsmann Strategie so:

Bertelsmann hat verschiedene Angebote. Die Stiftung bietet Schulen und Kindergärten Interessantes an, z.B. Musikförderung, was die Kolleginnen sonst so nicht bekommen können. Das ist ein gutes Entrée, wo man im Einzelnen sagen könnte: Toll, dass es das gibt. Bertelsmann macht aber gleichzeitig anderes, nämlich auf die Dinge zu setzen, die die Umsteuerung für ein neoliberales Schulsystem befördern. Also Schuleiter zu qualifizieren und gleichzeitig mit einer bestimmten Denkrichtung auszustatten darüber, was man unter Leitung versteht. Oder Evaluationsinstrumente anzubieten: Schulen werden heutzutage gezwungen, sich zu legitimieren, indem sie sich evaluieren, und dann bietet Bertelsmann etwas an und hat gleichzeitig den Fuß in der Tür bei der Bildungsverwaltung und erringt großen Einfluss. Und verfügt auch über Daten, um ihre eigenen Instrumentarien zu verbessern. Also Bertelsmann bietet etwas, lockt und befördert verschiedene Bausteine neoliberaler Umgestaltung. [...] Die Evaluationsverfahren, die Bertelsmann anwendet, beanspruchen, messbare Ergebnisse zu leisten. Man misst wiederholt und sagt dann: Damit gewinnen wir Kennziffern, an denen wir die Entwicklung der Schulen beurteilen. Kennziffersteuerung ist ein Kernelement der neoliberalen Führung von Schulen. Also sogenannte Outputsteuerung, die Schulen wie Betriebe behandelt und an Kennziffern misst, so wie auch Betriebe an Kennziffern gemessen werden. [...] Die Schulleitung wird zum Management einer Bildungseinrichtung, die in Konkurrenz zu anderen Bildungseinrichtungen steht. Das Konkurrenzprinzip ist das, was Bertelsmann propagiert.

Die Einführung von scheinbar objektiven Vergleichstesten verschleiert, dass sie nicht zu mehr Qualität führen. Vielmehr gibt es Anzeichen dafür, dass die Einführung von Schulleistungstests auch sinkende Schulleistungen zur Folge haben können. Darüber hinaus zeigt ein Blick nach England, welche verheerenden sozialen Auswirkungen Rankings haben: Schulen, die bei den Texts gut abschneiden, werden verstärkt nachgefragt und können sich ihre Schülerinnen und Schüler aussuchen. Durch die Selektion werden bereits im Kindesalter die gesellschaftlichen Rollen festgeschrieben. Die englische Umgangssprache unterscheidet bereits zwischen „star schools“ und „sink schools“ (Ausguss-Schulen).

Auch die Privatisierung von Schulen ist dort bereits Realität, in- und ausländische Bildungsunternehmen dringen auf den liberalisierten Markt vor. Ebenso berüchtigt ist die Einrichtung von 25 Schulen durch einen Gebrauchtwagen-Mogul, dessen Weltbild auf der christlich-fundamentalistische Lehre der Kreationisten beruht. Alle Schulbetreiber bestimmen das Schulprogramm, die Ausrichtung und die Auswahl des Lehrerkollegiums. Britische Zeitungen titelten: „Capitalists and creationists take over our schools.“ Auch in Deutschland ist das keineswegs ausgeschlossen: In Niedersachsen möchte die Regierung konfessionelle Stiftungsschulen einführen, deren Kosten zwar vom Land übernommen werden, die jedoch selbstständig über ihr Personal und die Aufnahme von Schülerinnen und Schüler entscheiden können.

Nicht nur mit dem Thema Bildung knüpfte der Kongress an die letztjährige Veranstaltung an, deren Tagungsband gerade erschienen ist. Der von Thomas Barth herausgegebene Titel "Bertelsmann: Ein globales Medienimperium macht Politik" versammelt Aufsätze zu Medienmacht, Demokratie, Bildungsreform und zu den globalen Ambitionen der Stiftung. U.a. dokumentiert Hersch Fischler, Publizist und Co-Autor des Buches „Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums“ (vgl "Apparat der Selbstverklärung"), die enge Beziehung der Stiftung zur damaligen rot-grünen Bundesregierung und ihre Unterstützung der Arbeits- und Sozialreformen. In diesem Jahr gab die erstaunlich gut besuchten Veranstaltung präzise Einblicke in den Umbau der Bibliothekslandschaft unter Bertelsmann-Vorzeichen, die Einübung der Konsumentenrolle bei Grundschulkindern, die Rolle der Stiftung als EU-außenpolitischer Scharfmacher und ihre Konzepte zur Beförderung der „Bürgergesellschaft“. Über allem stand der Versuch, den Reform-Moloch aus Gütersloh in seiner ganzen Machtfülle und mannigfaltigen Einflussnahme zu begreifen. Und zu überlegen, wo es wirksame Möglichkeiten gäbe, diese Macht wieder einzugrenzen.

Bertelsmann: Gemeinnutz oder Eigennutz?

Der emeritierte Bremer Professor Rudolph Bauer erläuterte in seinem Vortrag die Einbindung kommunaler „Eliten“ bei der von Bertelsmann angestrebten Reform der kommunalen Ordnung. In Kommunen und Kreisen existiert mittlerweile ein "ungeheuer komplexes Netzwerk", so Bauer. Die Stiftung hat sich längst zwischen Verwaltung und die Bürger der Stadt geschoben. Auf Kommunalkongressen lockt sie Stadtdirektoren, Kämmerer und Oberbürgermeister mit einer ganzen Palette von Reformvorschlägen. Das stiftungseigene Kompetenzzentrum "Kommunen und Regionen" arbeitet u.a. an Projekten in den Bereichen "Bürgerorientierung", "Gesundheit", "Sozialer Zusammenhalt", "Kommunale Wirtschaftspolitik" und "Kommunale Steuerung". Auch hier sind wieder technokratische Kontrollverfahren im Angebot: Kik oder "Kennziffern in Kommunen".

Die Initiative der Stiftung legitimiert sich in den Kommunen wie auch an anderer Stelle nicht über ein demokratisches Mandat, sondern über ihren Status als gemeinnützige Stiftung. Was die Kontrolle schwer macht. Der Hamburger Politik-Professor Hans J. Kleinsteuber brachte es auf einer Podiumsdiskussion auf den Punkt: „Berlusconi kann man abwählen, Bertelsmann nicht.“ Ob wirklich gemeinnützige Zwecke das Interesse der Stiftung leiten, wurde von einigen Referaten bezweifelt und mit Beispielen unterlegt. Etwa wenn die Stiftung die öffentlichen Kommunen zur Teilprivatisierung ihrer Aufgaben ermuntert und die hochprofitable Dienstleistungstochter der Bertelsmann AG, Arvato, genau in diese Geschäftsbereiche vorstößt. Vielleicht sind sich Geschäft und Gütersloher Gutmenschentum näher, als die Stiftung glauben machen will. Immerhin ist die privatwirtschaftliche Übernahme öffentlicher Aufgaben ein zentrales neoliberales Interesse. Doch damit hätte sich dann wohl auch die Gemeinnützigkeit der Stiftung erledigt. In Ihrer Satzung steht: "Die Stiftung verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke." (I. §2).

Sobald eine Stiftung als gemeinnützig anerkannt ist, läge es am Finanzamt zu entscheiden, ob die Gemeinnützigkeit verletzt wird. [...] Diese Maßstäbe müssen immer wieder überprüft werden. Und das scheint in Gütersloh, wo das Fürstentum Mohn residiert, nicht der Fall zu sein. Und außerhalb von Gütersloh interessiert sich auch kein Mensch dafür. [...] Das Problem ist, dass der Stiftung ein sehr positives Image anhaftet, das sie sehr unverdächtig macht. Und das nutzen auch die Politiker.

Rudolph Bauer