08.02.2005 [Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]

 


Ein Spaziergang im Januar 2005

Als wir morgens losgehen wollten, erwarteten uns schon zwei Bullenwannen am Treffpunkt, die wir aber abhängen konnten.

Wir haben zunächst einige Beschäftigungsträger abgeklappert, die für die Vermittlung von Ein-Euro-Jobbern und -Jobberinnen zuständig sind. Wir trafen dort auf befristet Angestellte, die selbst vorher arbeitslos waren. Sie beteuerten uns, sie würden nur Leute vermitteln, die einen Ein-Euro-Job auch machen wollten, andere könnten problemlos wieder nach Hause gehen. Wie sie aber mit den neuen Regelungen ab Januar 2005 umgehen werden, wollten sie uns nicht sagen. Sie fänden natürlich nicht in Ordnung, dass die Industrie daran verdienen solle. Mehr könnten sie dazu nicht sagen, wir sollten lieber zu ihren Chefs gehen.

Das haben wir dann auch getan, allerdings meinten die Frauen dort im Büro, sie wären seit Jahren zuständig für die Vermittlung versicherungspflichtiger Ein-Jahres-Verträge für Sozialhilfeempfänger. Mit Ein-Euro-Jobs hätten sie (noch) nichts zu tun, sie wären auch nicht die Chefetage des Trägers? Wo sind die Chefs?

Unsere nächste Station war die CARITAS, die ja mehrfach verkündet hat, Ein-Euro-Jobs einzurichten und sich damit vor allem für die »berufliche Qualifizierung jugendlicher Arbeitsloser unter 25 Jahren zu engagieren«.

Wir trafen zunächst nur auf Angestellte einer Sozialstation von Caritas. Die Frauen dort wollten keine persönliche Meinung zu den geplanten Ein-Euro-Jobs äußern und weigerten sich auch, unsere Fragen – zum Beispiel zu nötigen Qualifikationen für Ein-Euro-Jobberinnen im Pflegebereich zu beantworten. Auch sie verwiesen uns an die zentrale Verwaltung der Caritas...

Bei einem anderen Besuch in einer Caritas-Einrichtung hatten wir aber auch schon interessante Gespräche mit »regulär« Beschäftigten aus verschiedenen Einrichtungen. So erzählten uns Erzieherinnen und Reinigungskräfte, dass sie Angst davor hätten, die Caritas könne in Zukunft ihre ohnehin unsicheren, zum Teil befristeten Jobs durch Ein-Euro-Maßnahmen ersetzen. Sie waren an unseren Flugblättern interessiert und wollten sie unter ihren Kolleginnen und Kollegen weiter verteilen.

Am Ende wurde es dann endlich nochmal richtig interessant, als wir in eine Werkstatt reinplatzten, wo etwa 40 Leute, meist Frauen und fast alle – mit Ausnahme der Vorgesetzten – migrantischer Herkunft, an Nähmaschinen saßen und Stofftiere für Kindergärten und Kitas herstellten. Fast so, wie man es sich in einem Sweatshop vorstellt...

Alle Arbeiterinnen dort waren entweder ABM-Kräfte oder Ein-Euro-Jobberinnen (etwa die Hälfte). Trotz der aufgebrachten Aufseherin, die uns verbieten wollte, mit den Arbeiterinnen zu reden und Flugis zu verteilen, kamen wir mit einigen der Ein-Euro-Jobberinnen ins Gespräch. Sie erzählten, dass es sie nerve, keinen Anspruch auf Urlaub zu haben und im Krankheitsfall keine Kohle zu bekommen. Bezahlt blau machen ginge hier nicht. Ansonsten sei die Arbeit aber ganz locker, man würde sich nicht »totmachen«.

Eine Gruppe von sechs Frauen, die sich schon vorher kannten, erzählte uns, wie sie zu ihrem Ein-Euro Job gekommen waren. Sie hatten einen Brief vom Arbeitsamt erhalten, in dem ihnen diese Arbeitsstelle vorgeschlagen wurde, und beschlossen dort gemeinsam anzufangen, um zu verhindern, später einzeln in verschiedene Stellen vermittelt zu werden.

Die Ein-Euro-Jobberinnen fanden es gut, dass sich jemand für ihre zum Teil beschissenen Arbeitsbedingungen interessiert. Während unserem Gespräch mit ihnen, lief die Projektleiterin wütend zum Telefon, um die Bullen zu rufen. Wir sind dann gegangen.

Wir werden dort auf einem der nächsten Spaziergänge sicher wieder vorbeischauen.

Da der Zwangscharakter der Ein-Euro-Jobs erst mit Hartz IV seit Anfang diesen Jahres durchgesetzt wird, kann man davon ausgehen, dass gerade damit begonnen wird, die neuen Maßnahmen durchzusetzen. Wir werden wahrscheinlich erst im Laufe der nächsten Monate auf Ein-Euro-Jobber stoßen, die unter Androhung der Kürzung ihres ALG II den Job machen müssen. Schwierig bleibt es auch, im Vorfeld abzuklären, was uns bei den jeweiligen Stellen erwartet und mit wem wir es direkt zu tun haben. Wir wollen weiter mit Ein-Euro-Jobberinnen und »regulär« Beschäftigten diskutieren. Den Chefs dagegen sollten wir ausdrücklich klar machen, dass sie zukünftig Stress bekommen und die Durchsetzung der Ein-Euro-Jobs nicht ohne Widerstand geschieht. Alles in allem machen diese Spaziergänge Spaß. Es gibt Gelegenheit, zu diskutieren, Infos auszutauschen und neue Leute kennen zu lernen.

Falls Ihr Lust bekommen habt, kommt mit oder zieht selbst los: zwei zuverlässige Leute planen eine Route, ihr verabredet einen Treffpunkt und sagt interessierten Leuten Bescheid. Zwischendrin kann's auch mal langweilig werden, weil nicht jede Adresse gleich ein Volltreffer ist. Deshalb sucht euch mehrere Anlaufpunkte aus. Auf jeden Fall ist die Stimmung viel angenehmer als auf einer Demo, da ihr nicht ständig von bewaffneten Polizisten, Journalistinnen und nervenden (Hobby-)Politikern verfolgt und belabert werdet.

Kontakt: eineurojob@gmx.net Berlin, Januar 2005

Unser Flugblatt:

Die Ein-Euro-Jobber kommen

Sie arbeiten vielleicht in einem Betrieb oder einer Einrichtung, wo demnächst sogenannte »Ein-Euro-Jobs« auftauchen werden oder bereits zum Alltag gehören. Oder Sie sind schon auf den bitteren Geschmack dieser mit den Hartz IV-Gesetzen eingeführten Maßnahme gekommen und als »Ein-Euro-Jobber« tätig.

Wir wollen uns hier kurz einmischen, da wir arbeitslos sind oder es jederzeit werden könnten, und Hartz IV für uns wie für Sie ein Angriff auf unsere Lebensbedingungen ist.

Der Ein-Euro-Job ist der moderne Arbeitsdienst der Bundesagentur für Arbeit. Bezieher von Arbeitslosengeld II werden auf einen Arbeitsplatz vermittelt, an dem sie zusätzlich zur Sozialleistung etwa 1,50 Euro pro Stunde bei maximal 30 Wochenstunden dazuverdienen können. Besser gesagt, sollen, denn wer nicht will, dem wird die Stütze gekürzt oder gestrichen.

Unter diesen Bedingungen ist es wohl kaum verwunderlich, wenn die Motivation eines »zugeteilten« Ein-Euro-Jobbers, recht fleißig und kooperativ zu sein, gegen Null geht.

Der Ein-Euro-Job kostet die Unternehmen keinen müden Cent. Im Gegenteil: Er ist ein prima Geschäft. Pro oder Jobberin streicht der Betrieb ca. 300 Euro von der Bundesagentur für Arbeit ein, die für Verwaltungskosten und die »Qualifizierung« der Langzeitarbeitslosen vorgesehen sind. Ihre »Aufwandsentschädigung« – die 1,50 Euro pro Stunde – erhalten die Jobber vom Arbeitsamt.

Sicher wird man als Ein-Euro-Jobber keinen Abschluss machen können, der einem auf dem Arbeitsmarkt was nützt. Regulär Beschäftigte werden (neben ihren Arbeitsaufgaben) die Leute anlernen müssen. Die Jobberinnen verlassen aber bald wieder den Betrieb, da ein Ein-Euro-Job längstens neun Monate dauert. Danach beginnt alles von vorne. Die Maßnahmen dienen lediglich der Disziplinierung von Arbeitslosen, nicht ihrem beruflichen Fortkommen.

Wenn es aber dazu kommen sollte, dass Ein-Euro-JobberInnen einem Laden tatsächlich wirtschaftlich Nutzen bringen, glauben Sie nicht auch, dass dann die Geschäftsführung die Löhne der anderen Beschäftigten bald viel zu hoch finden wird? Sie werden überlegen, wie sie die Struktur des Unternehmens so anpassen können, dass sie so viele JobberInnen wie möglich einstellen können und so viele teure Arbeitskräfte wie irgend möglich los werden. Ein-Euro-Jobber haben kein reguläres Arbeitsverhältnis, wählen keinen Betriebsrat und haben auch sonst keine Rechte im Betrieb. Und sie müssen zudem noch befürchten, beim Arbeitsamt angeschwärzt zu werden, wenn sie nicht so funktionieren, wie sie sollen.

Die gegen Arbeitslose gerichteten Disziplinierungsmaßnahmen dieser »Arbeitsmarkt-Reform« wirken also auch gegen die bisher regulär Beschäftigten. Die werden wahrscheinlich froh sein über ihre Situation, ihre »Rechte« als Gnade empfinden und an den Jobbern sehen, was sie sonst zu verlieren hätten. Für beide, für JobberInnen wie für die regulär Beschäftigten bedeutet das: Schnauze halten und Arbeiten – egal was, egal, wie viel und egal zu welchen Bedingungen.

Das wichtigste Mittel dagegen ist, sich diesem Druck gemeinsam zu verweigern, anstatt sich gegeneinander ausspielen zu lassen. Solidarität unter den Kolleginnen und Kollegen, auch wenn sie unter verschiedenen Bedingungen in der Einrichtung oder dem Betrieb arbeiten, wäre eine wichtige Voraussetzung. Wenn Ein-Euro-Jobber sich absichtlich dusslig anstellen, langsam arbeiten, die Zeit mit Kolleginnen verschwätzen, dann liegt das sehr wahrscheinlich daran, dass sie sich für die Bedingungen, unter denen sie da jeden Tag auf der Matte stehen sollen, einfach nicht begeistern können. Vielleicht entstehen darüber hinaus auch kollektive Formen des Widerstands – z.B. Dienst nach Vorschrift, Streiks – mit denen Sand ins Getriebe kommt.

Wenn Ihr Erfahrungen mit Ein-Euro-Jobs habt, was unternehmen wollt oder meint, wir könnten mal auf einem unserer Spaziergänge in Eurem Betrieb vorbeischauen, dann meldet Euch doch.

Kontakt: eineurojob@gmx.net

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